Migrantenpartei polarisiert die Niederlande
DENK will Rassismus und Diskriminierung bekämpfen und sich für Gerechtigkeit und Chancengleichheit einsetzen
Sylvana Simons hat ihn satt, »diesen rassistischen Schlamm«, der jeden Tag über ihr ausgekippt wird. Als »Affe« muss sie sich ausschimpfen lassen, als »Heulneger«. Weil sie schwarz und in den Niederlanden nur aufgewachsen ist. Denn die bekannte niederländische Fernsehmoderatorin stammt aus der ehemaligen Kolonie Surinam. »Die Debatte über Rassismus muss auch in der politischen Arena geführt werden«, fordert sie. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich die 45-Jährige DENK angeschlossen, einer umstrittenen neuen Splitterpartei, die als erste Migrantenpartei Europas in die Schlagzeilen geraten ist.
DENK will Rassismus und Diskriminierung bekämpfen und sich für Gerechtigkeit und Chancengleichheit einsetzen. Gegründet wurde die neue Partei von zwei türkischstämmigen Abgeordneten, die die sozialdemokratische Partei der Arbeit im Streit verlassen hatten: Sie hoffen auf mindestens einen, wenn nicht fünf der 150 Sitze bei den Parlamentswahlen 2017. Von den rund 17 Millionen Einwohnern haben 3,6 Millionen einen Migrationshintergrund, das sind gut 21 Prozent der Bevölkerung.
Bei den inzwischen 2600 Parteimitgliedern von DENK handelt es sich zu 80 Prozent um sogenannte neue Niederländer. Aber, betont Tunahan Kuzu, einer der beiden Parteigründer: »Wir sind alle Niederländer - egal, woher wir ursprünglich kommen. Die niederländische Staatsbürgerschaft verbindet uns als gemeinsame Identität. Deshalb wollen wir auch eine Partei für alle Niederländer sein.«
DENK sieht sich als Gegenbewegung zur islamfeindlichen Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders. »Wir wollen die Rechtspopulisten bremsen«, so Kuzu. Ihr Aufstieg habe zu einer Verrohung und Verhärtung der Gesellschaft geführt. Diese sei vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten: »Themen wie Integration, Immigration oder Flüchtlingskrise werden nur noch einseitig negativ konnotiert.«
Bestes Beispiel sind die rassistischen Hass-E-Mails, die Simons bekommt, seit sie sich dafür ausgesprochen hat, die Figur des Zwarte Piet beim Nikolausfest abzuschaffen. Aus ihrer Sicht ist es ein rassistisches Symbol, das nicht mehr in diese Zeit passe. Die Debatte um den Zwarte Piet, den schwarzen Begleiter vom Nikolaus, spaltet die niederländische Gesellschaft seit Jahren. Man müsse die Simons umgehend mit dem Bananenboot nach Surinam zurückschicken, forderten ihre Gegner - vor allem männliche weiße Wähler von Wilders.
Trotz ihrer hehren Ziele ist DENK umstritten: Laut Parteiprogramm soll jede Gemeinde ein Gastarbeiterdenkmal bekommen und die Migrationsgeschichte im Unterricht zum Pflichtfach werden. Die Zeit der Integration sei vorbei, die der Akzeptanz angebrochen. Zudem weigert sich DENK, den türkischen Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg 1915 und 1916 anzuerkennen.
Dennoch hat sich eine Reihe bekannter Niederländer der Partei angeschlossen. Prominentestes Beispiel ist Simons.
Ihr Wechsel zur Politik führte zu heller Aufregung und hat ihr einen noch stärkeren Gegenwind beschert. So wurde etwa auf Facebook die Seite »Abschied von Sylvana« eingerichtet. Zehntausenden gefällt das.
Das Ausmaß von Hohn, Hass und Häme hat die niederländische Gesellschaft wach gerüttelt und neben großem Entsetzen auch Scham ausgelöst.
Seit Jahrhunderten sehen sich die Niederländer als Zufluchtsort für Andersdenkende und Andersgläubige und hegen das Selbstbild einer toleranten Nation, der Rassismus fremd ist. Nun müssen sie erkennen, wie groß die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.