Daten sammeln leicht gemacht
Schwarz-Rot will mit Gesetzespaket gegen den Terror auch Flüchtlinge von Europa fernhalten
Wer sich eine Prepaid-Karte für sein Mobiltelefon kaufen will, wird in naher Zukunft viele Daten preisgeben müssen. Nach einem Gesetzesentwurf der Großen Koalition, der am Donnerstagmorgen erstmals im Bundestag beraten wird, sollen die Verkäufer dazu verpflichtet werden, die Daten der Kunden zu speichern und sich zu diesem Zweck einen Ausweis vorlegen zu lassen. Dazu zählen Namen und Anschrift sowie das Geburtsdatum. Bislang haben viele Kunden offenbar falsche Angaben gemacht. Die Ausweispflicht soll anderthalb Jahre nach Verkündung des Gesetzes in Kraft treten. Menschen, die bereits eine Prepaid-Karte besitzen, müssen diese nicht erneut registrieren.
Union und SPD meinen, dass die Sicherheitsbehörden mit diesen verschärften Maßnahmen Terroristen, die anonym telefonieren wollen, schneller auf die Schliche kommen. Dschihadistische Anschläge, wie am 13. November 2015 in Paris und am 22. März dieses Jahres in Brüssel, sollen so erschwert werden. Dass Dschihadisten aber wirklich so dumm sind, dass sie sich einfach registrieren lassen, kann wohl ausgeschlossen werden. Vielmehr wird es weiterhin möglich sein, Karten zu tauschen oder bereits registrierte SIM-Karten zu erwerben. So bleibt der Benutzer für den Mobilfunkbetreiber anonym.
Voraussichtlich wird es im Ergebnis nur eine große Datensammlung über unbescholtene Bürger geben. Trotzdem gilt dem Bundesinnenministerium der Zugriff auf Daten als ein zentrales Mittel zur Abwehr von Gefahren. Weil die Täter international vernetzt sind, wird das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nach dem Gesetzesentwurf von Christ- und Sozialdemokraten künftig mit wichtigen ausländischen Nachrichtendiensten gemeinsame Dateien einrichten und betreiben. An diesem Informationsaustausch sollen unter anderem die Staaten der EU und der NATO beteiligt werden. Sie sollen Informationen über Menschen teilen, die des Terrorismus verdächtigt werden. Von besonderem Interesse sind deren Reisebewegungen. Laut Gesetzentwurf sollen grenzüberschreitend Bestrebungen oder Tätigkeiten erforscht werden, »die sich auf bestimmte Ereignisse oder Personenkreise beziehen«. Die entsprechenden Dateien würden Informationen zu diesen Personen, Objekten oder Ereignissen enthalten.
Ein besonderes Augenmerk gilt den sogenannten »Foreign Terrorist Fighters«. Diese sind europäische Staatsbürger, die in Krisenregionen ausreisen, um dort für Terrororganisationen wie den sogenannten Islamischen Staat in Syrien oder Irak zu kämpfen. Sie kehren dann nach einiger Zeit nach Europa zurück, um dort Anschläge zu verüben. Die Geheimdienste sollen sich künftig stärker über die dschihadistischen Bestrebungen dieser Personen in ihren Heimatstaaten austauschen.
Ziemlich absurd klingt, dass die Große Koalition nur eine Kooperation mit Ländern plant, die »grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien« einhalten. Dass dies bei den mit der Bundesrepublik verbündeten Diensten westlicher Staaten der Fall ist, kann spätestens seit der Affäre um den BND und die US-amerikanische NSA mit guten Gründen bezweifelt werden. Für besonders schwere Menschenrechtsverletzungen ist außerdem das NATO-Mitglied Türkei bekannt.
Das Gesetzespaket richtet sich aber nicht nur gegen Terroristen, sondern es soll auch einen Beitrag zur Flüchtlingsabwehr leisten. Seit einigen Monaten präsentiert die Bundesregierung hauptsächlich die »Schleuser« als Feindbild. Einige dieser Menschen nutzen tatsächlich nicht nur die Notlage von Flüchtlingen aus, um sich an ihnen zu bereichern, sondern verschulden auch deren Tod auf der Flucht. Allerdings blüht das Geschäft der Schlepper allein deswegen, weil es für viele Schutzsuchende keine legalen Wege gibt, um nach Europa zu kommen.
Nun will die Große Koalition die Auswirkungen ihrer gescheiterten Flüchtlingspolitik bekämpfen. Gegen die »Schleuserszene« sollen Beamte der Bundespolizei als verdeckte Ermittler eingesetzt werden. Sie sollen sich mit falscher Identität in die entsprechenden Kreise einschleichen, um dort Informationen zu sammeln. Bislang durfte die Bundespolizei verdeckte Ermittler lediglich zur Strafverfolgung einsetzen, künftig soll dies auch für die Gefahrenabwehr gelten. Die Vermutung, dass jemand eine Straftat geplant hat, würde also ausreichen.
In den parlamentarischen Beratungen könnte es noch zu Änderungen kommen. Die zahlreichen Verschärfungen gehen der Union nämlich nicht weit genug. Aus Sicht der Konservativen sollte das BfV auch Daten von 14- bis 16-Jährigen in Dateien speichern dürfen. Dies hält der sozialdemokratische Koalitionspartner hingegen nicht für notwendig.
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