Gut gekleidet zum Terrorakt
Israels Regierung setzt auf »Vergeltung« / Palästinenser-Präsident Abbas verurteilt Gewalt
Die Täter seien gut gekleidet gewesen, hätten sich durch nichts von den vielen Hundert anderen Menschen unterschieden, die an diesem Tag über den Sarona-Markt flanierten, sagen Mitarbeiter von Geschäften und Restaurants in der teuren, herausgeputzten Einkaufsstraße mitten in Tel Aviv. »Die beiden setzten sich hin, redeten miteinander«, sagt die Bedienung, die in der örtlichen Filiale der Café-Kette Max Brenner arbeitet: »Dann zog einer der beiden eine Waffe aus einer Tasche, stand auf und begann um sich zu schießen.«
Auf den Aufnahmen einer Überwachungskamera ist zu sehen, wie die beiden aufspringen und schießend durch die Einkaufsstraße rennen, bevor einer der beiden von Sicherheitsleuten erschossen und der andere von Polizisten überwältigt wurde. Knapp eine Minute dauerte der Anschlag und kostete vier Israelis das Leben, 16 Menschen wurden verletzt.
Es war bereits der zweite Anschlag nach diesem Muster in diesem Jahr. Im Januar hatte ein Palästinenser mit einem Nachbau der schwedischen Maschinenpistole Carl Gustav in einem Restaurant um sich geschossen und war danach Tage lang auf der Flucht. Das gleiche Modell wurde auch am Mittwoch eingesetzt. Zwar geht die palästinensische Regierung massiv gegen illegalen Waffenbesitz vor. Doch Carl Gustav-Waffen werden schnell und billig in Hinterhöfen hergestellt und sind leicht zu verbergen.
Unmittelbar nach dem Anschlag ließ Verteidigungsminister Avigdor Liebermann 83 000 Einreisegenehmigungen für Palästinenser zurück ziehen, die er kurz nach seiner Vereidigung Ende Mai für den Fastenmonat Ramadan erteilt hatte. Außerdem kündigte er »harte Maßnahmen« an. Auch Regierungschef Benjamin Netanjahu sprach nach einem Treffen mit Liebermann in der Nacht zum Donnerstag von »Vergeltung«.
Da war noch unklar, ob es sich bei den Attentätern - wie bei den vielen Angriffen mit spitzen Gegenständen auf Israelis in den vergangenen Monaten - um Einzeltäter handelte oder im Hintergrund eine Organisation die Feder führte. Wie viele andere gewaltbereite palästinensische Gruppen feierte die Hamas den Anschlag, bekannte sich aber nicht dazu. Sie ist in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, ihre Beteiligung an einem Anschlag nicht bekannt zu geben, um Israels Regierung keine Legitimierung für Militäroperationen zu liefern. Spezialkräfte des Militärs verhörten die Familie der Attentäter, zwei Cousins aus Jatta im südlichen Westjordanland. Einer der beiden war Student an einer Militärakademie in Jordanien und zum Ramadan in die palästinensischen Gebiete zurückgekehrt.
Palästinas Präsident Mahmud Abbas verurteilte »Gewalt gegen Zivilisten«, während sich in Ost-Jerusalem und in vielen palästinensischen Städten Jugendliche zu Freudenfeiern versammelten. Die erstaunlichste Reaktion kam indes aus Saudi-Arabien. Dort verurteilte die Regierung den Anschlag mit deutlichen Worten, in den Medien wurden die getöteten Israelis erstmals nicht als »Siedler«, sondern als Opfer und die Attentäter als Terroristen bezeichnet.
Für Aufsehen sorgte am Donnerstag auch Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai. In einem Interview mit dem Armeeradio sagte er: »Wir sind wahrscheinlich die einzige Nation, die eine andere Nation besetzt, und ihr ihre Rechte verwehrt. Man kann Menschen nicht unter eine Besatzungssituation stellen, und erwarten, dass sie zu der Schlussfolgerung gelangen, dass alles in Ordnung ist.«
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