Höllenspektakel für Höllenmaler
’s-Hertogenbosch ist die Geburtsstadt des Malers Hieronymus Bosch. Die Stadt begeht 2016 das 500. Todesjahr ihres berühmten Sohnes, hat aber weitaus mehr zu bieten. Von Geraldine Friedrichs
Passt auf eure Hände auf, es ist hier sehr eng«, ruft Bootsführer Hugo Groeneveld, kurz bevor er scharf links in einen Tunnel abbiegt. Eben noch säumten Häuserwände und Uferböschungen das Flüsschen Binnendieze. Nun bleiben keine zehn Zentimeter Abstand mehr zwischen Boot und Tunnelwand. Dunkelheit. Dröhnende Bässe. Hektisches Gezupfe auf einer Gitarre. Wenige Sekunden später lodern links und rechts Flammen, aus denen Skorpione fliegen, Fische mit langen Beinen staksen und Drachen mit Teufelsfratzen schwirren. Wieder ein paar Sekunden später schweben Engel zu sphärischer Musik im Sternenhimmel. Die Bösen und die Guten, dazwischen gibt es nichts.
So hat sich Hieronymus Bosch wohl das Jenseits vorgestellt. Etwa zehn Minuten dauert die 3D-Filmsequenz, produziert von einem Künstler mit dem sinnigen Namen Mr. Beam. Die acht Bootsinsassen sitzen und staunen, denn damit hatten sie nicht gerechnet. Sie erkunden die Stadt ’s-Hertogenbosch wie sich das für niederländische Städte gehört: Vom Wasser aus. Genauer: Per »Himmel und Hölle«-Bootsfahrt auf der Binnendieze, dem Flüsschen, welches die 14 4000-Einwohner-Stadt kanalartig durchzieht. »In Amsterdam sind es Kanäle, aber die Dieze ist ein echter Fluss«, erklärt Groeneveld. Der Unterschied scheint wichtig zu sein.
2016 jährt sich der 500. Todestag des Künstlers Hieronymus Bosch, bürgerlich eigentlich Jeroen van Aken (=Aachen), der in der Stadt geboren wurde. Sein genaues Geburtsjahr und sein Todestag bleiben auf ewig ein Geheimnis. Überliefert ist, dass Bosch in einer Künstlerfamilie aufwuchs, bereits der Großvater, der Vater sowie zwei Brüder arbeiteten als Maler, und dass er im August 1516 im Alter von etwa 66 Jahren starb. Bosch, weltberühmt für seine angsteinflößenden Fusionen aus Mensch und Tier, beschert seiner Geburtsstadt derzeit nicht nur virtuelles Höllenfeuer, sondern auch einen echten warmen Wind.
Seit Beginn des Jahres strömen Besucher aus ganz Europa nach ’s-Hertogenbosch. Es locken das Art Center, Skulpturen, die in der ganzen Stadt aufgestellt wurden, der Aufstieg auf die Kathedrale, um die rund 500 Jahre alten Fabelwesen auf den Strebebögen von Nahem bestaunen zu können. Menüs werden auf einem eigens designten Bosch-Geschirr serviert, und abends gibt es eine speziell für das Jubiläum produzierte Bosch-Beamer-Show auf dem Marktplatz. Letztere trat allerdings erst mit Verspätung ins Programm: Beim ersten Soundcheck auf dem Marktplatz am 27. Februar brachen die beiden Häuser neben Boschs Geburtshaus zusammen, glücklicherweise ohne Verletzte. Die Lücke ist noch deutlich zu sehen. Ein Höllenspektakel für einen Höllenmaler - wenn das nicht passt! Böse Zungen behaupten, dies sei ein Gruß des Jubilars aus dem Jenseits.
Die Hauptstadt der Region Nordbrabant ist eine bei den Niederländern beliebte Einkaufsstadt nicht nur mit den allseits bekannten üblichen Ketten, sondern auch zahlreichen Boutiquen und Second-Hand-Shops. An Schaufenstern prangen »Willkommen Hieronymus«-Aufkleber, selbst auf den Markisen finden sich Gemälde des Künstlers, und immer wieder trifft man auf die schrägen Kreaturen des Meisters in Form von Skulpturen.
Der seltsame Name der Stadt, ’s-Hertogenbosch, rührt daher, dass der einst existierende Wald um die Stadt die Jagdgründe des Herzogs waren, eben der »Bosch« des Herzogs (Bosch=Wald). Jeroen van Aken änderte seinen Nachnamen in den seiner Heimatstadt, Hieronymus beziehungsweise das niederländische Jheronimus ist die lateinische Variante seines Vornamens Jeroen. Warum er das tat, ist nicht klar, vielleicht um sich so einen besonderen Künstlernamen zu verschaffen, vielleicht, wie andere behaupten, um seine Stadt zu ehren.
Doch ’s-Hertogenbosch besteht nicht nur aus Hieronymus Bosch und Mittelalter. Auch wer sich für jüngere zeitgenössische Geschichte interessiert, ist dort richtig. Nur fünf Autominuten von der Innenstadt entfernt liegt das 1943 von den Nazis errichtete Konzentrationslager Kamp Vught mit zwei sehr sehenswerten Ausstellungen. Seit November 2013 hat die sogenannte Baracke 1 B geöffnet. Sie beschäftigt sich unter anderem mit dem Schicksal der Menschen, die in den 1950er Jahren aus der ehemaligen niederländischen Kolonie Molukken, einer Inselgruppe zwischen Sulawesi und Neuguinea, eingewandert sind und die dort - direkt neben der Ausstellung - immer noch in den renovierten Baracken des ehemaligen Konzentrationslagers leben.
Im Dokumentationszentrum selbst geht es um die Geschichte des Lagers während des Kriegs: Von dort deportierten die Nazis 1269 jüdische Kinder mit einem sogenannten »Kindertransport« in das Vernichtungslager Sobibor. Die Hölle, die Hieronymus Bosch aus seiner Fantasie heraus malte, wurde in Kamp Vught ein halbes Jahrtausend später Realität.
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