Prohaska, Krankl, Prohaska, Dremmler, Rummenigge!

Die Feuilleton-EM-Kolumne

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Sich über etwas Gedanken zu machen, von dem wir nichts wissen, ist ein schwieriges Unterfangen. Über den Tod zum Beispiel wissen wir wenig; wer das Glück hat, religiös zu sein, kann sich immerhin mit der Vorstellung trösten, dass nach dem Herzstillstand und dem Herunterfahren des Gehirns das Leben irgendwie weiter geht, doch auch er kann bis dahin nur spekulieren, was das sein wird. Gehen wir alle ins helle, weiße Licht und treffen dort unsere verblichenen Lieben wieder?

Schön wäre es, und schön wäre es auch, wenn wir schon wüssten, welche Mannschaft am 10. Juli Europameister geworden ist. Zum Zeitpunkt, an dem diese Zeilen geschrieben werden mussten, weil der Redaktionsschluss nahte, war in Frankreich bei der Fußball-EM aber noch kein einziges der 51 Spiele angestoßen, kein Tor erzielt, kein Foul getreten, kein Abseits gepfiffen worden. Es ist also noch nichts passiert, worüber man in einer Kolumne, die sich mit dem Thema Fußball und EM auseinandersetzen soll, schreiben kann. Die Zeilen mussten also mit inhaltsleeren Sätzen gefüllt werden in der Hoffnung, das Ende des Textes möge rasch kommen. Dem Leser dieser Kolumne droht also Langeweile. Das ist bedauerlich, wenn auch nicht zu ändern.

In solchen Momenten beginnt man als Vertreter der schreibenden Zunft zu ahnen, wie es den Kolleginnen und Kollegen im Fernsehen und Radio gehen mag, wenn sie Spiele live kommentieren müssen, bei denen auf dem Rasen nichts Erwähnenswertes passiert; Spiele, bei denen nicht nur keine Tore fallen, sondern zusätzlich die beiden Mannschaften überhaupt keine Lust zu haben scheinen, welche zu erzielen. Man muss es wohl so machen wie Eberhard Stanjek, der am Morgen des 25. Juni 1982 auch noch nicht wissen konnte, dass er Stunden später die absolute Langeweile auf dem Rasen kommentieren musste. Das Spiel zwischen Deutschland und Österreich bei der Fußball-WM in Spanien ging als »Schande von Gijón« in die Fußballgeschichte ein. Der deutschen Mannschaft genügte im letzten Gruppenspiel ein Sieg mit einem Tor Unterschied, um in die nächste Runde zu kommen, Österreich durfte höchstens mit zwei Toren Differenz verlieren, um einen der beiden ersten Gruppenplätze zu erreichen. In diesem Fall wären die mit Deutschland und Österreich punktgleichen Algerier, die ihr letztes Gruppenspiel bereits absolviert hatten, als Gruppendritter ausgeschieden. Deutschland ging in der ersten Halbzeit mit 1:0 in Führung. Nach der Pause stellten die beiden Mannschaften die Angriffsbemühungen faktisch ein. Die letzten Minuten des Spiels hörten sich bei Eberhard Stanjek so an:

»Magath, Förster, Rummenigge. Da geht nichts mehr. Prohaska, Krankl, Prohaska, Dremmler, Rummenigge. Förster löst sich. Hintermaier, Briegel, Rummenigge, Hrubesch, Obermayer (es folgt eine Minute Sprachlosigkeit). Pezzey, Krauss, Stielike (die Stimme hebt sich leicht) ... sehr schön dazwischen … (Stanjeks Stimme wird wieder monoton) … Littbarski, Obermayer, Hintermaier. Auf der Pressetribüne wird heftig diskutiert, 23 Minuten sind noch zu spielen. Schachner. Der Jubel gilt den algerischen Fahnen, die hier aufgezogen werden. Fischer, Pezzey, Weber, Kraus, Briegel, Kaltz, Koncilia. Worüber wird man, um Himmels willen, morgen in der ganzen Fußballwelt schreiben? Zu bewundern ist einzig und allein die Kaltschnäuzigkeit der 22 Profis dort unten, trotz aller Proteste dieses Spiel in dieser Art und Weise über die Zeit zu bringen; man kann froh sein, wenn diese Zeit abgelaufen ist. - Die Partie ist vorbei.«

Diese Kolumne - Gott sei Dank - auch.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Mehr aus: Kopfball - die EM im Feuilleton