»Wir lassen uns keinen Millimeter verdrängen«

Viele Menschen bekunden vor der US-Botschaft in Berlin ihre Trauer, Verbände stellen Forderungen an deutsche Politiker

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit Blumen und stillem Gedenken bekundeten Berliner am Montagmittag ihre Solidarität mit den Opfern von Orlando. Verbände forderten indes mehr als Lippenbekenntnisse von Politikern.

Unter den Menschen, die am Pariser Platz Blumen ablegten, waren auch einige Politiker. Berlins Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) sagte: »Berlin steht an der Seite seiner LSBTI-Community.« Klaus Lederer und Hakan Taş von der LINKEN zeigten sich »schockiert und betroffen« von den Ereignissen, kritisierten aber auch den Senat, der Initiativen wie die zu »sexueller Vielfalt« nicht weiterentwickele. Der DGB Berlin-Brandenburg hisste eine Regenbogenfahne auf Halbmast. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte in einer Presseerklärung, er sei erschüttert, dass der Todessschütze Menschen ermordet habe, »die nichts anderes getan haben, als fröhlich zu feiern und ihr Leben zu genießen«. Dass es sich bei den Ermordeten um Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersexuellen, kurz LSBTI, gehandelt hat, erwähnte er nicht.

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) hatte zu dem stillen Gedenken aufgerufen. Geschäftsführer Jörg Steinert sagt: »Wir waren beeindruckt, wie viele Menschen ihre Solidarität bekundet haben.« Der US-Botschafter habe sich bei ihm für die Anteilnahme bedankt. Verängstigen lassen will sich der LSVD nicht: »Wir gehen weiter in unsere Clubs, wir hissen unsere Fahnen und gehen auf den CSD.« Der Christopher Street Day ist die größte LSBTI-Demo, die dieses Jahr am 23. Juli stattfinden wird. Steinert sagt, er setze sich dafür ein, dass diese Tat nicht politisch instrumentalisiert werde. Allerdings mahnte er an, dass die Politik die »realen Probleme in der Community« nicht vernachlässige. So forderte er eine Zufluchtsstätte für schwule, muslimische Männer, die zwangsverheiratet werden sollen.

In den Räumen des schwulen Anti-Gewalt Projekts MANEO in der Bülowstraße 106 liegt seit Montag Abend ein Kondolenzbuch für die Opfer des »Pulse«-Clubs aus. Zwischen 17 und 22 Uhr können Menschen, die die Anschläge betroffen machen, Beratung in Anspruch nehmen. Im Einzelgespräch oder in Gruppen können sie mit Psychologen, Sozialarbeiter oder Experten der Opferberatung über die Ereignisse und ihre Gefühle sprechen. »Wir lassen uns keinen Millimeter verdrängen«, sagt Bastian Finke. »Alle Veranstaltungen finden statt.« Trotzdem gibt er zu: »Es macht unsicher.« Ein Ergebnis müsse deshalb sein, »Sicherheitskonzepte zu überprüfen«. Und zum Beispiel mehr Polizei vor LSBTI-Orte zu stellen.

Die Antigewaltberatung für Lesben (LesMigras) berät Frauen mit Migrationsgeschichte. Ihre Leiterin Sadeh Saadat-Lendle sagt, Deutschland müsse aufhören, Waffen an Staaten zu liefern, die den sogenannten Islamischen Staat unterstützen. Sie fordert von den muslimischen Verbänden, sich von der Tat in Orlando zu distanzieren, auch wenn sie nicht verantwortlich seien. Von der Regierung forderte sie, Muslime nun nicht unter Generalverdacht zu stellen: »Eine fundamentalistisch-christliche Person hätte das genauso tun können.« Stattdessen sollten die Politiker den Dialog mit religiösen Verbänden suchen. Trotzdem sei dies auch ein Problem der deutschen Mehrheitsgesellschaft: »Obwohl die USA und Deutschland freie Gesellschaften sind, gibt es hier wie dort viel Transphobie und Homophobie.« Die politischen Parteien, darunter die CDU, tabuisierten das Thema, obwohl viele der Mitglieder Lesben und Schwule seien. Dass Henkel diese nicht erwähnt, bezeichnet sie deshalb als »kein Wunder«.

Der Berliner Club SchwuZ will zu dem Massaker in Orlando keine Stellungnahme abgeben, bevor es nicht mehr Informationen zu der Tat gebe. Pressesprecherin Laura Ningel sagt dem »nd«, die Zeit habe noch nicht ausgereicht, um zu überlegen, wie man mit kommenden Veranstaltungen umgehe. Die nächste Party sei für Donnerstag geplant, »da wird es in den nächsten Tagen Debatten geben«, sagt Ningel. Angela Schmerfeld vom Organisationskomitee des CSD sagt, es bestehe »keine Notwendigkeit« an der geplanten Demonstration irgendetwas zu ändern. »Es gibt nur eine sinnvolle Art, dagegen anzugehen: Wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen.«

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