Rot-Grün in Bremen droht Verlust der Mehrheit
Staatsgerichtshof fordert Neuauszählung zur Wahl 2015 / AfD könnte Sitz im Landesparlament bekommen
Es könnte eng werden für die rot-grüne Koalition an der Weser, nachdem der Staatsgerichtshof Bremen am Dienstag entschieden hat, einen Teil der Stimmen zur Bürgerschaftswahl aus dem Mai 2015 neu auszählen zu lassen. Womöglich bekommt die Alternative für Deutschland (AfD) in Bremerhaven knappe 50 Stimmen mehr und nimmt damit die Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug in die Bremische Bürgerschaft. Die SPD würde dadurch ein Mandat im Bremer Landesparlament verlieren. Was für die Koalition besonders schmerzlich wäre, verfügt sie doch nach dem Übertritt Turhal Özdals zur CDU nur noch über eine Ein-Stimmen-Mehrheit. Zur Landtagswahl im kleinsten, aus Bremen und Bremerhaven bestehenden Bundesland wurden auch die Kommunalparlamente der beiden Schwesterstädte gewählt. Im Landtag des Bundeslandes sind alle Parteien vertreten, die in einer oder beiden Kommunen die Fünf-Prozent-Hürde überwinden.
Da der AfD in Bremerhaven nur 0,03 Prozent fehlten, um in die Bremische Bürgerschaft einzuziehen, hatte sie eine Neuauszählung der rund 34.000 Stimmzettel zur Bremerhavener Kommunalwahl durchgesetzt. AfD-Spitzenkandidat Thomas Jürgewitz hatte danach das Wahlprüfungsgericht angerufen und einige hundert fehlerhaft ausgezählte Wahlzettel vorgelegt.
Daraufhin hatte das Wahlprüfgericht eine Korrektur der Wahlergebnisse angeordnet, was für Jürgewitz den Einzug in die Bremische Bürgerschaft und für die Bremerhavener SPD-Abgeordnete Petra Jäschke den Verlust ihres Mandats im Bremer Landtag bedeutete. Jäschke und die Bremer SPD, aber auch der Bremer Landeswahlleiter Jürgen Wayand legten gegen den Spruch des Wahlprüfgerichts Beschwerde ein, weil die Entscheidung nur auf Sichtung der von der AfD vorgelegten beanstandeten Wahlzettel beruhte.
Der Staatsgerichtshof Bremen folgte dieser Argumentation und hat nun eine erneute Auszählung aller 32.000 Bremerhavener Stimmzettel, die für die Wahl zur Bremer Bürgerschaft abgegeben worden waren, angeordnet. Und zwar in Anwesenheit mindestens eines Mitglieds des Staatsgerichtshofes Bremen. Der bat den Oberbürgermeister Bremerhavens, Melf Grantz (SPD), Bedienstete der Seestadt für die Auszählung bereitzustellen.
Im Bundesland Bremen gibt es mehr Stimmberechtigte für die Kommunalparlamente als für den Landtag, weil auch in Bremen ansässige EU-Bürger unter bestimmten Voraussetzungen ein kommunales Wahlrecht haben. Für die Entscheidung, ob weiterhin die SPD-Frau Jäschke im Bremer Landtag sitzt oder erstmals der AfD-Mann Jürgewitz, könnten schon ein paar anders bewertete Stimmzettel reichen. Das allerdings könnte für die Koalition der Hansestadt weitreichende Folgen haben. Die bereits angeschlagene rot-grüne Fraktion sieht sich nach der Pleite der Bremer Landesbank und den Querelen um den Stabilitätspakt mit Rücktrittsforderungen gegen Karoline Linnert konfrontiert. Die Angriffe auf die grüne Finanzsenatorin und Bürgermeisterin haben die Koalition geschwächt, ein Patt im Landtag vergrößerte das Problem noch.
Doch die SPD ist erfreut über die Entscheidung zur Neuauszählung. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass nicht nur fehlerhaft bewertete Wahlzettel zuungunsten der AfD gefunden werden, ist groß. So gibt es Hoffnung, dass auch die SPD durch die Neuauszählung profitieren könnte. Offensichtlich sieht auch die AfD diese »Gefahr«: Nachdem nicht nur die von ihr selbst monierten fehlerhaften Stimmzettel berücksichtigt werden, sondern neu gezählt wird, versucht sie die Bremse zu ziehen. Sie will gegen den Spruch des Staatsgerichtshofes Bremen vorgehen und erwägt gar, deshalb das Bundesverfassungsgericht anzurufen.
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