Wenn die Seele 
aufglüht

Fotos von Monika Schulz-Fieguth in Potsdam

  • von Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Glücksfall ist das zu nennen: Die Großbilder einer Ausnahmefotografin leuchten aus dem Halbdunkel einer finsteren Museumsarchitektur. Falls es so etwas wie Potsdam-Flair gibt, hier ist etwas davon spürbar. Laienhafte Gemüter laben sich rundum an einer eingebildeten Wiedererweckung von Einstigem. Auch die 1949 in Potsdam geborene Monika Schulz-Fieguth kennt die Verzauberung durch das Hiesige. Sie blieb ihrer Heimatstadt durch all die Jahre treu. Doch als gründlich ausgebildete und mit allen Wassern gediegenen Handwerks gewaschene Fotokünstlerin wurde sie mit den Jahren immer mehr eine in die Tiefe lotende, weil zunehmend intensiver erlebende Beobachterin des Lebens hier und heute. Über gängige Klischees hinweg nahm sie ihren Weg.

Vordergründig grelle Töne sind nicht ihr Ding, weder im persönlichen Auftreten noch in der von ihr geschaffenen Bildwelt. Mit Lachgebot beim Fotografiertwerden einhergehende fotografische Schönfärberei ist ihr zuwider. Sie ist eine schöne Frau, sie muss nichts beschönigen. Eine bunte Welt abfotografieren? Das überließ sie von Anfang an anderen. Denn selbst in ihren analog immer schwarz-weißen »Anfängerfotos« spürte sie schon im Porträt das Charaktervolle auf und im Szenischen den Problemfall. Einerseits schuf sie Bildnisse der mit ihr im DDR-Potsdam zu einiger Bedeutung kommenden Malergeneration - heute Dokumente früher Anerkennung. Andererseits suchte sie körperlich Behinderte auf, weniger ihr Leiden, als ihre Freuden zu zeigen - sie abbildend, vermittelte sie Zuversicht durch Miterleben.

Sie begreift: Die fotografisch erfasste Begebenheit erzählt uns viel, aber um künstlerisch zu überhöhen, muss sie andere Wege suchen. Da findet sie eine außerordentliche Persönlichkeit: Hans-Jürgen Treder. Mitten im DDR-Alltag verquer agierend, tiefgründig philosophierend. Dem Exponenten der Astrophysik wich sie nicht mehr von der Seite. Der sich scherzhaft als »Halbgenie« Bezeichnende wird zur Entdeckung ihrer Laufbahn. Bis in die letzten Minuten seines Lebens findet sie in der verkrümmten Gestalt den Lebensnerv dieses Mannes.

An seiner Seite der Büchernarr Jürgen Kuczynski, der im skurril zugespitzten Disput mit Treder brilliert. Die Kamera fängt es ein. Die Dame mit dem Objektiv bewegte sich nun auf hochgeistigem Terrain. Das verpflichtete sie, diesen Weg fortzusetzen. Schon 1981 gab sie ihrer Sehnsucht nach, menschliche Körper als Fortsetzung des freigegebenen Gesichtes nackt zu sehen. Wenn wir schon so offen unsere Gesichtszüge zeigen, warum dann nicht mehr?

Das wurzelte zunächst in der damals üblichen Freikörperkultur, die frei von frivoler Nebendenkerei im realen Leben angesiedelt war. Ihre heranwachsenden Töchter verführten sie dazu, pulsierende Haut über lebensprallen Körpern zu zeigen. Bis heute wagt sie, Aktfotos ein menschliches Antlitz zu geben. Das geht bis in ihre erst seit 2005 aus tiefschwarzem Hintergrund leuchtenden »Schwarzen Porträts« hinein. Das bewegendste Halbaktporträt - der Maler Günther Jahn. Den wahren Menschen finden, das ist ihr Ehrgeiz.

Ja, einmal spürt sie sogar Politikergesichter auf. 3. Oktober 1990: Kohl, Weizsäcker, Genscher blicken jubelnd aufs siegreich vereinte Volk herab. Die Fotografin ist dicht dran. Da oben nehmen auch Willy Brandt und Oskar Lafontaine Anteil am Geschehen. Sichtlich überwältigt von innerer Bewegung der in Würde alt gewordene Menschenfreund, und erhobenen Hauptes neben ihm sein Nachfolger. Welch frühe, leider in diesem Moment schon zu späte Nachdenklichkeit über die Tragweite des Augenblicks!

Aus dem Atelierfenster sieht sie weit über den Heiligen See. Das Rote Haus am Ufer des Neuen Gartens schimmert herüber. Da muss über sie gekommen sein, es den in solcherart Stimmung aufgehenden Landschaftsmalern gleich zu tun. Sie lässt nichts unversucht, mit der nun digitalen Technik fotografisch eine sinnlich spürbare Malhaut zu simulieren. Eine imaginär anmutende, verschwebende Farbigkeit weht sanft in ihre Bildmotive. Der im Nebeldunst verhangene See scheint zu atmen. Sie ist damit im Einklang. Sie atmet mit.

Groß und weit muss sie es haben. Alle Räume hier über zwei Etagen des Hauses am Alten Markt zeigen großformatig das auf Körpergröße und Weiträumigkeit Komponierte. Kosten hin und her, es muss sein. Ihre Ästhetik braucht Fläche und Raum. Hält in jedem Fall die Ausstrahlung der Person dem stand? Sie folgt dem Bildhauerkollegen Wilfried Statt ins Kloster. Er opfert Kunst und Person der neuen Identität »Bruder Raphael«. Wie das sichtbar machen? Das ist kaum darstellbar. »Ora et Labora« zitiert sie das Lateinische dazu, so wie sie ja dieses ganze Projekt »Lumen et umbra« nennt. Es klingt nach den ihr lieben Molltönen. Das deutsche »Licht und Schatten« bringt nicht, was sie meint: ein Geheimnis.

Das letzte solche Geheimnis ist das Sterben. Wenn die Seele ein letztes Mal aufglüht im Erlöschen des Lebens, will sie dabei sein. Das Indiskrete ihres Vorgehens geht im Dunkel ihrer Lichtschöpfung auf. Sie legitimiert ihr Vorgehen sensibel mit dem noblen Abstand, den sie hält. Der Tod des Vaters, des Onkels, eines Freundes - damit ist nun ein Endpunkt erreicht. Ihre künstlerische Vitalität wird an lebendigeren Sujets sich ganz neu definieren müssen. Eine gewisse andere Richtung ist schon mit der zupackenden Körperlichkeit der Serie »Sepia« angedeutet. Wer weiß ...

Bis zum 21. August im Potsdam Museum

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