Volkssolidarität muss sich um Azubis kloppen

Der traditionsreiche ostdeutsche Sozialverband würde gern kämpferischer auftreten

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Die brandenburgische Volkssolidarität will sich nicht länger mit Sprüchen aus der Politik abspeisen lassen. Sie fordert ihre Mitglieder auf, die eigenen Interessen stärker zu Gehör zu bringen.

»Nach Jahrzehnten neoliberaler Ideologie sind die sozialen Sicherungssysteme angegriffen und in drastischer Weise demontiert worden«, sagte der Verbandsratsvorsitzende der märkischen Volkssolidarität Bernd Niederland am Mittwoch bei einen Erfahrungsaustausch im Vorfeld der Bundestagswahl 2017. Es gelinge leider auch der Volkssolidarität nicht mehr so gut, die innewohnende Schutzfunktion zum Tragen zu bringen.

Scharf kritisierte Niederland Privatisierung und Kommerzialisierung der sozialen Vorsorge sowie die Tendenz der Entsolidarisierung in Deutschland. Immer mehr Menschen würden sich nicht mehr demokratisch vertreten fühlen. Das öffne Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Rassismus die Tore. »Es ist besorgniserregend.« Offen sprach der Vorsitzende davon, dass in einigen Regionen des Landes ein »Pflegenotstand« existiere. Aufgrund der fehlenden Fachkräfte könnten »bestimmte Pflegeleistungen dort nicht mehr erbracht« werden.

Niederland sagte: »Leise Töne in der Sozialpolitik werden oft als Schwäche empfunden.« In dieser Situation bekomme die Altenhilfe und die Seniorenarbeit eine politische Dimension. Von der Politik fühlt sich die Volkssolidarität über weite Strecken im Stich gelassen. Obwohl Politiker aller Fraktionen sich über die prekäre Situation gut unterrichtet zeigen, fehle die Unterstützung bei der gebotenen Anhebung der Pflegeentgelte. Das aber wäre nötig, um die Pflegekräfte besser bezahlen zu können.

Inzwischen müsse die Volkssolidarität schon Patienten ablehnen. auch wenn dies gegen das Gewissen gehe, beklagte die Vorstandsvorsitzende Roswitha Orban. Doch drohe ansonsten, dass die notwendigen Leistungen nicht erbracht werden. Es habe Fälle gegeben, »dass wir gebührenpflichtig abgemahnt worden sind«. Es könne schließlich nicht sein, dass »die Mitarbeiter zehn Stunden auf Tour geschickt werden und sie um ihre Ruhezeiten gebracht werden«.

»Wir kloppen uns jetzt schon um die Azubis«, beklagte Carla Ahlert von der Volkssolidarität Bürgerhilfe Königs Wusterhausen. »Unsere Pfleger arbeiten sich fast tot.« Inzwischen werde bei Bewerbungen auf die Zeugnisse gar nicht mehr geachtet. »Wir haben uns weit geöffnet.« Leider gelinge es nicht, die Mitarbeiter zu Protesten vor dem Landtag zu bewegen. »Pflege macht träge.«

Auch Gabriele Herzel vom Verbandsbereich Mittelmark mahnte ein stärkeres Engagement der Mitglieder bei der politischen Interessenvertretung an. Es gebe über 35 000 Mitglieder in Brandenburg, doch nur rund 5000 hatten eine Petition zur Einführung der Mütterrente unterschrieben. »Wir müssen unsere Mitglieder mehr dafür sensibilisieren, damit sie auf die Straße gehen.« Dafür, die Volkssolidarität »nicht ins Gerede zu bringen, sondern ins Gespräch«, trat Ina Nehls vom Verbandsbereich Oberhavel ein. »Man kommt so schwer an die Wurzeln der Ungerechtigkeit.« In der Regel sei von politisch Verantwortlichen in solchen Fällen die Beteuerung zu vernehmen, sie seien nicht zuständig. »Da setzt eine gewisse Hilflosigkeit ein.«

Alfred Spieler vom Bundesvorstand wies darauf hin, dass die Rente langfristig hinter der Lohnentwicklung zurückbleibe. Der Durchschnittsrentner verfüge heute über 47 Prozent seines Arbeitsnettoeinkommens. Im Jahre 2000 seien es immerhin noch 53 Prozent gewesen. Die Volkssolidarität fordere, die Kürzungsfaktoren der Rente zu streichen, die Mütterrente aus Steuermitteln zu finanzieren und die Einnahmebasis der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Einbeziehung von Beamten und Freiberuflern zu erweitern. Sonst drohe immer mehr Menschen der soziale Abstieg in dem Moment, in dem sie in Rente gehen.

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