Unendliche Weiten in Grün

  • Miriam Sachs
  • Lesedauer: 3 Min.

Als ich vier Jahre alt war, begleitete ich meinen Opa erstmals zu einem Fußballspiel auf den Bieberer Berg - zu Kickers Offenbach gegen Eintracht Frankfurt. Als das Spiel begann, sah ich - fast nichts. Der grüne Spielplatz war so weit weg, Miniaturgestalten liefen wirr in der Ferne herum. Kein TV-Reporter brüllte mich in Stimmung. Die entrückte Grünfläche hatte ihre Bedeutung verloren, ich schlief ein.

Auch heute noch brauche ich das Drumherum: z.B. die Identifikation mit bestimmten Vereinen (Ach, Kickers, wo seid ihr?) oder genüssliche Hasswogen, die ich dem ehemaligen FIFA-Präsidenten entgegenbrachte (Auch weg!) - und dann sind da diese Alle-Zwei-Jahre-Events, die mitreißen, weil alles guckt. Und das auch noch in immer mehr Ländern; die FIFA expandiert. Die Weltmacht, die uns zwar kein Brot, aber eben Spiele gibt. Obwohl die bestimmt an den Schrippen in Fußballform auch mitverdienen. Von dem Schokoladenhersteller, der mit Kinderbildern der deutschen Nationalspieler wirbt, will ich gar nicht reden. Oder doch: da ging’s nämlich plötzlich um mehr als um Fußball, als sich Pegida-Anhänger darüber aufregten, dass der kleine Boateng, statt des gewohnten lächelnden Milchbübchens, ernst von der Packung blickt. Da bekam sogar der deutsche Fußball den Hauch einer politischen Dimension. Das Drumherum war endlich mehr als schwarz-rot-goldene Hüte und Clownsperücken.

Manchmal muss ich mir Fußball wichtig machen, damit das Spiel nicht wieder entrückt in die elegante Langeweile. Das Spiel zwischen Frankreich und Albanien am Mittwoch sah ich mit 20 Albanern (das sind nicht so viele, aber man erklärte mir, alle anderen seien in Frankreich!). 95 Minuten lang habe ich mit den Albanern mitgefiebert. Es ging um was! Mehr als um Fußball. Wie schade, dass die Albaner das Tor nicht getroffen haben. Dafür feierten und trauerten die Fans mit viel Witz.

Wie kann man nicht berührt sein von den Vorrundenspielen und den vielen neuen EM-Ländern? Dank eines Beitrages auf der UEFA-Webseite über den heldenhaften Gareth Bale und dank des unterlegten Game-of-Thrones-Soundtracks bin ich jetzt auch für Wales. Und, wie gesagt, für Albanien. Wollte ich da nicht immer schon hinfahren? Wieso sind die doch gleich so verstreut in der Welt bis in die Schweizer Nationalmannschaft hinein (und umgekehrt)? Und waren das nicht die mit den Fans, die 2014 im Spiel gegen Serbien die Drohne mit der Flagge landeten? Das sind Dinge, die mich aus der meditativen Ruhe reißen, die mich überfällt, wenn ich vergesse, mich zu identifizieren, und wieder nur Miniaturwesen auf dem Rasen in Höchstform sehe.

Es ist eine Europameisterschaft! Wer in Europa wem ans Bein pinkelt, der gehört dazu. Mit sieben dachte ich sogar, Fußball sei eine exklusive Initiative, um Kriege in ein freundlicheres Umfeld zu verlegen. Es wunderte mich überhaupt nicht, dass immer alle so viel traten und sich am Boden wälzten. Das reine Spiel, die reine Spielfreude, die uns die UEFA bereiten will, indem sie uns Geschichten von landenden Drohnen oder Bilder von kloppenden und bekloppten Fans erspart, ist eine Illusion - und für mich stinklangweilig. Und es ist ja auch nicht so, dass die FIFA ein netter ehrenamtlicher Verein ist, dem es ebenfalls nur ums Spiel geht. Sie kennt Game of Thrones aus erster Hand; sie weiß, wie man Ethikkommissionen beschneidet, Köpfe rollen lässt und sie wird den Blatterschen Traum vom interplanetarischen Fußball früher oder später umsetzen - auch wenn dafür die Vorrunden noch mehr aufgebläht werden müssen.

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