»Ich bin kein Terrorist, ich bin Revolutionär«

Zehn Kommunisten aus der Türkei stehen in München vor Gericht

  • Nikolaus Brauns
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass sie einige dicke Fische gefangen hat. Einige Angeklagte sind von ihren aufreibenden politischen Kämpfen körperlich schon stark geschwächt.

Neun seit über einem Jahr in Untersuchungshaft befindliche Männer und eine Frau aus der Türkei stehen ab dem 17. Juni in München vor Gericht. Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach dem Strafrechtsparagraphen 129b. Sie sollen führende Aktivisten der in der Türkei als Terrororganisation verfolgten maoistischen »Kommunistischen Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch« (TKP/ML) sein. In Deutschland ist die Partei nicht verboten, sie steht auch nicht auf der EU-Terrorliste. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die TKP/ML und die mit ihr in Verbindung stehenden Netzwerke jedoch.

Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung im April 2015 lebten alle damals zwischen 44 und 67 Jahre alten Angeklagten seit mindestens zehn Jahren legal in Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Sieben von ihnen hatten in Europa Asyl erhalten, nachdem sie in der Türkei Verfolgung, Folter und Haft erlitten hatten.

Alle engagierten sich in der Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK), einer seit den 70er Jahren bestehenden migrantischen Selbstorganisation mit antifaschistischem und antiimperialistischem Selbstverständnis. Die einzige Frau unter den Angeklagten, die Ärztin Dilay Banu Büyükavci, war 2006 zu einer Weiterbildung nach Deutschland gekommen, wo sie als Psychologin am Nord Klinikum in Nürnberg tätig war. Mediziner ist auch ATIK-Vorstand Sinan Aydin, er praktizierte bis zu seiner Verhaftung als Hausarzt in Nürnberg. Aus ihrer Gesinnung machen die Angeklagten keinen Hehl. »Ich bin kein Terrorist. Ich bin ein Sozialist. Ich bin ein Revolutionär«, erklärte der aufgrund eines deutschen Haftbefehls in Griechenland festgenommene und zuerst an Frankreich ausgelieferte Deniz Pektas vor seiner Überführung an die deutsche Justiz.

Als »Rädelsführer« bezeichnet die Generalbundesanwaltschaft den heute 56-jährigen Müslüm Elma. Dieser hatte sich bereits als Jugendlicher Mitte der 70er Jahre der TKP/ML angeschlossen. Nach dem Militärputsch vom 1980 wurde er aufgrund angeblicher Beteiligung an bewaffneten Aktionen für zehn Jahre inhaftiert und schwerer Folter ausgesetzt. 1984 beteiligte sich Elma im berüchtigten Militärgefängnis von Diyarbakir an einem Hungerstreik, der bei ihm bleibende gesundheitliche Schäden hinterließ. 1993 wurde er erneut wegen Mitgliedschaft in der TKP/ML zu einer Freiheitsstrafe von fast 19 Jahren verurteilt. Als ihm aufgrund lebensbedrohlicher gesundheitlicher Schäden eine Haftunterbrechung gewährt wurde, floh Elma 2002 nach Westeuropa, wo er Asyl erhielt. Als »professioneller Führungskader« der TKP/ML wurde er »von dieser alimentiert, verhielt sich konspirativ, benutzte einen Decknamen, vermied den Gebrauch von Telekommunikationsendgeräten und besaß gefälschte Personalpapiere«, behauptet die Anklage. Unter seiner Verantwortung seien jährlich Finanzmittel von mehreren Hunderttausend Euro im Ausland gesammelt worden. Sollte dies zutreffen, dann wäre die Inhaftierung dieses Berufsrevolutionärs, der 22 Jahre in türkischen Gefängnissen und bereits über ein Jahr in deutscher Untersuchungshaft verbringen musste, ein schwerer Schlag für die Partei.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.