Katholisch und kulturpessimistisch
Der CSU-Politiker Hans Zehetmair verlässt den Rechtschreibrat. Von Jürgen Amendt
Kürzlich fragte ich meine Frau via SMS, ob sie mir von ihrem Dienstanschluss aus noch eine Mail weiterleiten könne, die für mich beruflich wichtig sei. Als Antwort bekam ich: »Bin schon im we«. Worauf ich ihr »hdl« schrieb und von ihr die Antwort »hdgdl« erhielt.
Für Hans Zehetmair ist das »Fetzenliteratur«, und verantwortlich dafür ist das böse Internet. »Unsere Zeit ist so schnelllebig geworden. Da müssen Sie sich nur die Twitter-Literatur ansehen, in der es keine ganzen Sätze mehr gibt«, beschwerte sich der frühere bayerische Kultusminister vor einigen Jahren. Dabei kann man die zeichenreduzierte SMS-Kommunikation durchaus auch als Fortschritt interpretieren. Wer statt »Wochenende« einfach nur »we« schreibt und statt umständlich und lang »Hab› dich lieb« oder »Hab‹ dich ganz doll lieb« knapp »hdl« oder »hdgdl« in die Tasten seines Smart- oder iPhones tippt, der hat mehr Zeit für anderes - zum Beispiel dafür, sich mit der korrekten Schreibweise von Wörtern wie Spaghetti oder Schifffahrtsmuseum zu beschäftigen. Auch die - die Rechtschreibung bzw. deren Reform vor gut elf Jahren - gehört zur Kernkompetenz des konservativen CSU-Politikers Hans Zehetmair, der dem Rat für deutsche Rechtschreibung seit Anbeginn vorsteht, Ende Juni aber aus dem Amt scheiden wird.
Es hatte schon etwas Skurriles, als der heute 79-Jährige 2004 in dieses Amt befördert wurde. Da sollte ausgerechnet ein stramm Konservativer dem Gremium vorstehen, das die Umsetzung der Reform überwacht und damit nach konservativer Lesart den Niedergang der Sprachkultur beschleunigt. Kohorten von Oberstudienräten schrieben sich damals in Leserbriefen an ihre Lokalzeitungen die Finger wund, um das »ß« vor dem Aussterben zu retten, über Monate hinweg wurden einige kurios anmutende Schreibweisen wie Filosofie oder Fosfat erfunden, um die Rechtschreibreform zu diskreditieren. Dass selbst die Reformer niemals die Philosophie durch Filosofie oder Phosphat durch Fosfat ersetzen wollten, ging im populistischen Reform-Bashing weitgehend unter.
Doch für den am 23. Oktober 1936 als Johann Baptist Zehetmair in Langengeisling bei Erding geborenen Sohn eines Bauern und Wagnermeisters musste 2004 ein Amt gefunden werden, in das er nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik wechseln konnte. Seit 1986 war Zehetmair in Bayern für Wissenschaft, Kunst und Kultur zuständig und von 1990 bis 1998 zusätzlich für Bildung verantwortlich. Die teilweise Entmachtung durch Ministerpräsident Edmund Stoiber 1998 - Zehetmair verlor die Zuständigkeit für Unterricht und Kultus an Monika Hohlmeier, die vorher fünf Jahre lang unter ihm Staatssekretärin war - hatte auch den langsamen Abschied des ehemaligen Gymnasiallehrers aus der aktiven Politik eingeläutet. 2003 zog sich Zehetmair aus Kabinett und Landtag zurück.
Er passte 2004 - ein Jahr bevor Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde und die Union politisch liberalisierte - selbst im CSU-regierten Bayern nicht mehr so recht zum politischen Zeitgeist. Und die Zeiten sind für Zehetmair nicht besser geworden. Seine Ansichten und Äußerungen zu Sexualmoral und Religion, sein Frauen- und Familienbild sind in einem Bundesland, in dem im hintersten Winkel des bayerischen Waldes seit 2011 ein evangelischer, schwuler Sozialdemokrat als Landrat regiert, heute kaum noch mehrheitsfähig.
1988 verordnete der stramme Katholik, dass in allen Unterrichtsfächern die religiöse Dimension des behandelten Stoffes Gegenstand sein müsse. Später erhielten bayerische Grundschüler nur noch eine Wochenstunde Musik- und Kunstunterricht, dafür aber drei Stunden Religionsunterricht; an den weiterführenden Schulen umfasste das Fach Religion zwei Schulstunden pro Woche, gleichzeitig stand für Geschichte und Sozialkunde nur noch eine Stunde zur Verfügung. Johann Baptist Zehetmair führte in seiner Amtszeit das Schulgebet wieder ein, das in den Nachwehen der 68er Revolte auch in Bayern in den 1970ern abgeschafft worden war. Und er verfügte, dass in bayerischen Schulbüchern in den Kapiteln, in denen es um Sexualaufklärung ging, keine nackten Menschen abgebildet würden, sondern lediglich Symbolbilder mit stilisierten Strichmännchen. Zur »modernen Frau«, so der verheiratete Vater von drei Kindern, gehöre auch, dass sie »im Gebet Halt finde«. Wäre Zehetmair jünger und agiler (und nicht so christlich-orthodox fixiert), er könnte heute problemlos in der AfD Karriere machen.
Den Rat für Rechtschreibung leitete Zehetmair dagegen im Sinne der Kultusbürokratie; das 40-köpfige Expertengremium sollte mit ihm an der Spitze den »Sprachfrieden« sichern. Vor einem Jahr, anlässlich des zehnten Jahrestages der Einführung der neuen Regeln, setzte sich Zehetmair allerdings öffentlich von dem Reformwerk ab. Die Neuregelung sei überflüssig gewesen, sagte er in einem Zeitungsinterview. Er selbst müsse sich vorwerfen, dass er als Kultusminister nicht frühzeitig die Reform »in geordnete Bahnen gelenkt habe«. Und kulturpessimistisch merkte er an: »Sprache ist verkommen. Sprache ist zu sehr dem Konsum gewichen, der Passivität, und ist zu wenig schöpferisch.« sry, lieber hzm, imo heißt das, du hast kA.
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