Bereit zu halbherziger Geste
Nachkommen der Herero und Nama wollen sich mit einer Entschuldigung Deutschlands nicht begnügen
Wird der Bundestag eine Resolution zum von deutschen Kolonialtruppen 1905 verübten Genozid an den Herero und Nama verabschieden? Die Chancen stehen gut, nachdem Parlamentspräsident Norbert Lammert öffentlich einen Nachholbedarf des Bundestages festgestellt hat. In der ZDF-Sendung »Berlin Direkt« erklärte der CDU-Politiker, er wünsche sich vom Bundestag zu den Verbrechen im heutigen Namibia ähnlich klare Worte wie zu den Verbrechen türkischer Militärs an den Armeniern.
Seit rund einem halben Jahr bereits führen die Regierung von Namibia, auf dessen heutigem Territorium der Genozid vor 111 Jahren stattgefunden hatte, und die Bundesregierung Verhandlungen über die Form, in der Deutschland seiner über Jahrzehnte geleugneten Verantwortung für die Ereignisse gerecht werden und damit eine schwelende Wunde im Verhältnis beider Länder geheilt werden kann. Dies scheint eine schier unlösbare Aufgabe zu sein. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) arbeite mit Hochdruck daran, noch vor der Bundestagswahl 2017 eine gemeinsame Erklärung beider Länder zu vereinbaren, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. »Der Verhandlungsprozess ist ziemlich weit fortgeschritten.« Die Verhandlungen sollen in diesem Jahr abgeschlossen werden, erklärte gar der zuständige Sonderbeauftragte der Bundesregierung Ruprecht Polenz (CDU) kürzlich im Deutschlandfunk. Eine Resolution, in dem das Wort Völkermord Erwähnung finden werde, soll noch vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr im Parlament verabschiedet werden, sagte Polenz.
Über Details verlautet, eine möglichst hochrangige Person der Bundesregierung solle sich für den Genozid entschuldigen. Zudem ist die Rede von der Gründung einer deutsch-namibischen Stiftung, welche die Erinnerungskultur pflegen und einen Jugendaustausch organisieren könnte.
Nach der Resolution des Bundestages zum Völkermord an den Armeniern hatten der türkische Staatspräsident Erdogan, aber auch andere türkische Politiker und Verbände den deutschen Parlamentariern vorgeworfen, die Türkei zu verurteilen, aber zu den eigenen Verbrechen an den Herero und Nama zu schweigen. Nach einem Aufstand Waren tausende Menschen in Lagern dem Verhungern preisgegeben, andere in die Wüste getrieben worden, wo Zehntausende verdursteten. Bis heute konnte die Zahl der Opfer des Genozids nicht genau ermittelt werden.
Dabei musste sich bereits 1905 der weitgehend machtlose Deutsche Reichstag auf Antrag des damaligen SPD-Vorsitzenden August Bebel mit dem ersten Genozid des 20. Jahrhunderts beschäftigen. Der verantwortliche Kommandierende der Kaiserlichen Schutztruppe General von Trotha wurde zum Rapport nach Berlin einbestellt, sogar disziplinarisch belangt, später aber wieder vollständig rehabilitiert.
Noch bis vor wenigen Jahren hatte sich die deutsche Politik geweigert, die Verbrechen im südlichen Afrika als Genozid zu bezeichnen. Die Völkermorddefinition der UN könne nicht auf Verbrechen angewendet werden, die vor deren Verabschiedung geschehen sind, erklärten deutsche Politiker. Mit eben dieser Begründung wandten sich auch türkische Nationalisten gegen die Einstufung der Verbrechen an den Armeniern als Völkermord.
Zum 100. Jahrestag des Massakers im Jahr 2004 nahm mit der damaligen Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) erstmals eine deutsche Regierungsvertreterin an einer Gedenkveranstaltung in Namibia teil. In ihrer Rede vermied allerdings auch sie, die Verbrechen als Genozid zu bezeichnen. Im letzten Jahr schließlich hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert in der Wochenzeitung »Die Zeit« erstmals vom Völkermord an den Herero gesprochen.
Nach der Verabschiedung der Armenien-Resolution in der vorletzten Woche hatte die Opposition im Bundestag gefordert, dass auch der Bundestag diese Sicht übernehmen solle. »Das wäre ein Signal an die Bundesregierung, dass wir uns vor der historischen Verantwortung nicht drücken«, betonte der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Uwe Kekeritz, in der »Berliner Zeitung«. Die Linksfraktion erklärte sich bereit, einen fraktionsübergreifenden Antrag zu erarbeiten.
Doch für Nachkommen der Opfer des Genozids in Namibia ist die Angelegenheit mit einer formalen Erklärung nicht erledigt. Sie haben vor einigen Wochen beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Grund ist die Weigerung, mit ihnen über ihre Forderungen zu verhandeln. Sie verlangen neben einer Entschuldigung auch finanzielle Entschädigung. Im Interview hatte Ruprecht Polenz eine persönliche Entschädigung für die Nachfahren der Opfer aber weiterhin ausgeschlossen.
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