Die SPD sucht nach einer neuen Ostpolitik
Willy-Brandt-Kreis für Dialog und Zusammenarbeit mit Russland / Erler unterstützt Steinmeiers Kritik an »Säbelrasseln und Kriegsgeheul« / Aufruf kritisiert »Pro-Moskau-Connection« in der Partei
In Brüssel sind am Dienstag die umstrittenen Wirtschaftssanktionen gegen die russischen Regierung verlängert worden. Vor dem Treffen sorgt in Deutschland die Debatte über den SPD-Kurs gegenüber Moskau für Schlagzeilen. Warnungen von Frank-Walter Steinmeier vor »Säbelrasseln« der NATO gegenüber Russland sorgen bei der Union für Empörung. In der SPD erhält der Außenminister zugleich Rückendeckung. Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, verteidigte die Kritik an militärischer Eskalation – die aber nicht nur von der NATO ausgehe. »Beide Seiten machen derzeit mehr Manöver als früher und wollen Soldaten in Grenznähe stationieren. Es war deshalb notwendig, dass dies mal jemand zum Thema macht, weil weitgehend von der Öffentlichkeit nicht beobachtetet, findet hier ein Eskalationsprozess militärischer Art statt, der uns nicht mehr, sondern weniger Sicherheit bringt«, so Erler im RBB.
Die mediale Aufregung um Steinmeiers Warnung, »durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen«, verlief seit dem Wochenende in zwei Richtungen: Die eine Seite kritisierte den SPD-Politiker, die Äußerungen seien ein Akt der Entsolidarisierung innerhalb des westlichen Bündnisses. Steinmeier wurde gar als »Putin-Versteher« bezeichnet – doch das war nur möglich, weil zunächst entscheidende Aussagen des Sozialdemokraten, die dieser der »Bild am Sonntag« übermittelt hatte, von dem Blatt zunächst nicht veröffentlicht worden waren. »Mit der Krim-Annexion und dem militärischen Aktivitäten in der Ost-Ukraine hat Russland bei unseren östlichen Nachbarn ein Gefühl der Bedrohung entstehen lassen«, hatte Steinmeier nämlich auch gesagt – und es als »richtig« bezeichnet, »eine gemeinsame Reaktion der NATO zu finden«. Erst danach kommt in dem Statement der Satz mit dem »Säbelrasseln«.
Das klingt schon weit weniger nach einem Grund für jenen Grad der Empörung, den vor allem Unionspolitiker an den Tag legten. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass die verkürzende Vorabmeldung der »Bild am Sonntag«, auf der die mediale Debatte zunächst abhob, vom Außenministerium erst am Sonntag mit dem vollen Wortlaut von Steinmeiers Äußerungen gekontert wurde. »Nicht wenige, auch in der CDU, glauben, dass Steinmeier ganz froh über den Spin war, den seine Einlassung in den Nachrichten bekam«, so etwa die »Süddeutsche«, weil der SPD-Mann »insgeheim doch glaube, Manöver würden dem Verhältnis zu Russland unnötig schaden«.
Die Diskussion wird nicht so bald abebben, zumal in der Linkspartei und bei einem Teil der Grünen die Warnungen Steinmeiers vor militärischer Eskalation begrüßt wurden – und hier und da auch mit Blick auf den ebenfalls am Wochenende erfolgten Vorstoß von Sigmar Gabriel interpretiert wurden, der für ein Bündnis der progressiven Kräfte plädiert hatte. Die geäußerte Kritik an der NATO, so die Überlegung, sei auch eine Botschaft vor allem an die Linkspartei, die das Militärbündnis schon immer scharf abgelehnt hat. Neue Nahrung könnte der Streit um das NATO-Verhältnis der SPD und die Russlandpolitik erhalten, wenn sich Berichte bestätigen, denen zufolge SPD-Chef Gabriel am kommenden Montag den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu besuchen gedenkt.
Auch Gabriel hatte sich mehrfach skeptisch zu den Sanktionen gegenüber Moskau geäußert – und war damit ebenso wie nun Steinmeier auf Kritik beim Koalitionspartner gestoßen. Das Kanzleramt sei über Gabriels Reisepläne informiert, berichtet nun die »Rheinische Post« - bei dem Gespräch könne es um die Wirtschaftsbeziehungen gehen, die unter den von der EU verhängten Sanktionen leiden. Zuletzt hatte auch Putin Entgegenkommen in dieser Frage signalisiert: Russland könne sich auch vorstellen, seine eigenen Sanktionen gegenüber der Europäischen Union aufzuheben.
Dieses Thema ist aber auch innerhalb der SPD nicht unumstritten. In der Partei suchen jene die Zusammenarbeit, die eine Art »neue Ostpolitik« fordern – allerdings eine der noch schärferen Abgrenzung gegenüber Moskau. »Unser Ziel ist es, die Sozialdemokratie unmissverständlich von der völkerrechtswidrigen und aggressiven Politik des Kremls abzugrenzen und unsere Solidarität mit den Nachbarn und Verbündeten in Osteuropa zu betonen«, zitierte Zeit online aus einem Aufruf, den bis Ende Mai etwa 100 Sozialdemokraten unterstützt hatten. Aus dem Kreis der Initiatoren war von »Ostpolitik-Beton« die Rede – gemeint ist die Russland-Politik unter Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der mit Moskau enge Kontakte unterhielt und es immer noch tut, auch mit Kritik an den umstrittenen EU-Sanktionen. Dies wird nun von dem Arbeitskreis als »Pro-Moskau-Connection« gescholten.
Auf der anderen Seite melden sich aber auch jene zu Wort, die sich – auch mit Blick auf den bevorstehenden NATO-Gipfel – für eine Wiederbelebung des NATO-Russland-Rates, für die schrittweise Aufhebung der Sanktionen gegen Moskau und auch für eine angemessene Erinnerung an den Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion vor 75 Jahren werben. Unter der Überschrift »Der europäische Frieden ist in Gefahr« veröffentlichte der Willy-Brandt-Kreis eine Erklärung, in der es mit Blick auf die Beziehungen zu Russland heißt: »Eine Verbesserung der Situation ist nur durch Dialog und Zusammenarbeit zu erreichen«. Unterstützt wird der Appell unter anderem von der Schriftstellerin Daniela Dahn, dem Bürgerrechtler und Theologen Friedrich Schorlemmer, dem SPD-Urgestein Erhard Eppler und dem früheren sozialdemokratischen Minister Christoph Zöpel – sowie von Intellektuellen, die Linken und Grünen nahe stehen. Es geht in dem Appell zudem um Abrüstung, die Stärkung der OSZE und die Vertrauensbildung zwischen Russland und dem Westen.
Die Ost-West-Beziehungen befänden sich »heute an einer entscheidenden Weichenstellung«, daher müsse die Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel in Warschau am 8. und 9. Juli »ein deutliches Zeichen der Entspannungsbereitschaft und Zusammenarbeit« setzen, um so »der drohenden Spirale eines neuen Wettrüstens in Europa Einhalt zu gebieten«. Steinmeiers Warnungen vor »Säbelrasseln und Kriegsgeheul« sowie seine Kritik an »symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze der NATO« wird man im Willy-Brandt-Kreis mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen haben.
Hier gibt des den Aufruf des Willy-Brandt-Kreies als Download.
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