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Das Anne Frank Zentrum zeigt seit kurzem eine neue Ausstellung über die von den Nazis ermordete Jüdin. Thomas Heppener leitet das Zentrum.

  • Patrick Kunkel
  • Lesedauer: ca. 5.0 Min.

Thomas Heppener hat 1998 das Berliner Anne Frank Zentrum mit gegründet und ist heute dessen Direktor. Das Schicksal der von den Nazis ermordeten Jüdin ist für ihn mehr als nur ein Symbol für den Holocaust. Seit Anfang November zeigt das Zentrum eine neue Ausstellung über Anne Frank.

Die Dorfbewohner feiern Sommersonnenwende. Spät am Abend wird ein Buch verbrannt. »Ich übergebe dem Feuer Anne Frank«, sagt einer und wirft das Tagebuch der verfolgten Jüdin, die vor über 60 Jahren im Konzentrationslager starb, hinterher. Schaurige Folklore in einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt.
Das war zu viel. Noch bevor die Aufmerksamkeit in den Zeitungen verebbte, machte sich Thomas Heppener, Direktor des Berliner Anne Frank Zentrums, auf den Weg nach Pretzien. »Um mir selbst ein Bild zu machen.« Er war »schockiert, dass so etwas in Deutschland passieren kann«.
Fast fünf Monate ist das jetzt her, und Heppener sitzt wieder in seinem Berliner Büro im Anne Frank Zentrum in Berlin-Mitte, keine 500 Meter Luftlinie vom Fernsehturm entfernt. Er ist weder aufgewühlt noch schockiert. Heppener sieht einfach müde aus. Mit seinem runden, breiten Gesicht und dem verwuschelten braunen Haar wirkt er wie ein höflicher, etwas zu groß geratener Junge. Ein 40-jähriger Junge.

Außergewöhnlicher Geschäftsbereich
Der große Junge lehnt mit verschränkten Armen auf der Tischkante. Er spricht und reibt sich dabei mit dem Handrücken die müden Augen. Spricht weiter. Reibt die Augen.
Anne Frank macht viel Arbeit. Fünfzig, manchmal sechzig Stunden kämen in einer Woche zusammen, sagt Heppener. Er sei viel unterwegs in Sachen Anne Frank und sitze mehr in Zügen oder auf Konferenzen, als in seinem Büro.
Das Anne Frank Zentrum ist ein aufstrebendes kleines Unternehmen mit einem außergewöhnlichen Geschäftsbereich: historisch-politische Bildung. 15 Mitarbeiter kümmern sich um Fortbildungen für Lehrer, organisieren »interkulturelle Trainings« oder betreuen Schülergruppen.
Es ist ein Zentrum im Wortsinne, hier dreht sich alles um das jüdische Mädchen aus Frankfurt am Main, das vor den Nazis mit ihren Eltern ins niederländische Exil floh, in einem Amsterdamer Hinterhausversteck ihr heute weltberühmtes Tagebuch schrieb, und das am Ende in dem Konzentrationslager Bergen-Belsen starb.
Anne Frank war selbst nie in Berlin, aber Besucher, Jugendgruppen und Schulklassen aus der ganzen Bundesrepublik kommen nun wegen ihr hierher. Anfang November hat Heppener eine neue Dauerausstellung über das Leben des Mädchens eröffnet, das zu einem Symbol für die Opfer des Holocaust geworden ist.
Heppener ist so eine Art Anne Frank-Botschafter. An 21 Orten habe man dieses Jahr bereits die Wanderausstellung präsentiert, die von Berlin aus auf die Reise geschickt wird. Und Heppener war immer mit dabei. Schönebeck, Wurzen oder Pirna, so heißen die Ausstellungsorte in Ostdeutschland, die oft eines gemeinsam haben: ein Rechtsextremismusproblem. Zu den Eröffnungen kommen dann Polizeipräsidenten oder Bürgermeister. Manchmal gibt sich auch ein Ministerpräsident die Ehre. In Berlin hielt vor knapp vier Wochen der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit eine Rede zur Eröffnung. Und der ehemalige niederländische Ministerpräsident Wim Kok.
Prominente brächten einem Projekt wie dem Anne Frank Zentrum, das von öffentlichen Fördergeldern abhängig ist, wichtige Aufmerksamkeit, sagt Heppener. Für Publicity sorgen aber auch die Neonazis. »Es klingt zynisch, aber so ein Ereignis wie in Pretzien nutzt uns natürlich«, sagt Heppener. »Es sind die wenigen Momente, in denen es ein gesamtgesellschaftliches Erschrecken gibt.«
In solchen Momenten wird Heppener dann aktiv. In Pretzien nahm er an der Bürgerversammlung teil - »als geduldeter Gast«. Die zwei Täter waren auch im Saal. »Ich hatte eine unbändige Wut und hätte die Leute am liebsten gefragt, ob sie nicht völlig spinnen.«

In den Tagesthemen - aber als Andreas
Das hat er dann doch nicht gemacht. »Ich bin ja kein Messias, der den Menschen sagt, was sie zu tun und zu lassen haben.« Aber er versteht es, solche Situationen zu nutzen. Heppener kurbelte eine Spendenkampagne an. Geld für das Anne Frank Zentrum könne dazu beitragen, dass in Deutschland künftig keine Bücher mehr verbrannt werden. Sein Auftritt in Pretzien brachte ihn in die Tagesthemen, immerhin. Leider unter falschem Namen: Andreas statt Thomas.
»Ich sehe mich als Ermöglicher und Anreger«, sagt der große Junge aus Berlin. Und »als Lobbyist, als Türöffner für Demokratisierungsprozesse«. Er selbst sei in einem »sehr sozialistisch geprägten Elternhaus« groß geworden. »DDR-Mitläufer« seien die Eltern gewesen. »Der Marxismus-Leninismus war die einzig wahre Weltanschauung.«
Jugendliche sollten heute dagegen lernen, kritische Fragen zu stellen. Das sei Ziel seiner Arbeit, sagt Heppener, und man bekommt fast das Gefühl, dass er die verpassten Gelegenheiten seiner eigenen Jugend wieder gutmachen will, wenn er an Orte wie Pretzien reist, wo manche das Wort »Demokratie« offenbar nur ungern buchstabieren.
Doch Demokratisierung ist ein großes Wort. So groß, dass der Mensch manchmal hinter der Mission verschwindet. Als Chef sei er manchmal eine Zumutung - sagen Mitarbeiter. »Mit meinen kreativen Ideen habe ich oft für Konflikte im Anne Frank Zentrum gesorgt«, sagt er.
Seit einem Jahr gebe es einen »Organisationsentwicklungsplan« - ein Wortungetüm, das aber für Entspannung gesorgt habe. »Ich musste Macht als Chef abgeben.« Jetzt laufe es besser.
Erst war Anne Frank nur ein Job. Ab 1992 hat Heppener im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Ausstellung betreut, die damals durch die neuen Bundesländer tourte. »Es war eine schwierige Zeit«, sagt er. Kaum Geld, dafür Zukunftssorgen. Ein Kind, geboren 1997. Und das BWL-Studium.
1998 öffnete die erste feste Ausstellung in Berlin. Heppener wurde »Deutschland-Beauftragter« des Amsterdamer Anne Frank Hauses. Eine feste Stelle. Und er beendete auch sein Studium. Doch da war die erste Ehe schon kaputt. All die Jahre zuvor hatte er von seiner ersten Frau, einer Lehrerin, gelebt. »Ich habe mich damals oft gefragt, ob ich mir einen anderen Job suchen soll«, sagt Heppener. »Das war ein bisschen zu viel: Studium, Vater werden und noch ein Anne Frank Zentrum aufzubauen.« Er hat sich für Anne Frank entschieden.

Bis spät in der Nacht vorm Computer
Heppener hat inzwischen noch ein Kind. Seine Tochter ist jetzt zwei Jahre alt. »Aus dem Scheitern meiner ersten Ehe habe ich gelernt.« Ein Abend in der Woche ist für »die Beziehung« reserviert, das Wochenende fürs Familienleben. Immerhin komme er morgens nicht vor halb zehn zur Arbeit, wegen der Kinder. »Familienmanagement«, sagt Heppener. Dafür sitzt er oft bis spät in die Nacht am Computer.
Anne Frank fordert ihren Tribut.
Seine Frau wird es hoffentlich gelasse...

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