Ein Lied auf Löw
Obgleich Mehmet Scholls Behauptung, er habe noch nie so viele Chancen in einer Halbzeit gesehen, eher lächerlich ist, darf man zugeben, dass die deutsche Elf gegen Nordirland ein herausragendes Spiel aufgezogen hat. Sie sorgte fürs Spiel, die nordirischen Fans für die Stimmung, was deutsche Fans und nordirische Spieler von der Pflicht mitzutun enthob. Saubere Arbeitsteilung so weit.
Der Mann am Rand ist der Architekt dieses dynamischen und wiederkennbaren Spiels. Löw heißt er, und auch wenn man die Deutschen nicht mag (wofür es gute Gründe gibt, z.B. den, dass man selbst Deutscher ist), kann man einem Glücksfall gegenüber nicht kalt bleiben. Glück ist hier nicht, was Löw, sondern was dem DFB zuteil wurde, indem Löw zu ihm kam. Schon fraglich, ob es je einen ähnlich kompetenten Trainer der deutschen Elf gegeben hat; sicher aber hat keiner besseren Fußball spielen lassen.
Wir müssen nicht von den Fehlern des Mannes sprechen, von seiner übergroßen Anhänglichkeit an gewisse Spieler etwa, mit denen er einmal Erfolg hatte, den Podolskis und Kloses, die er, soweit es irgend ging, mit durchschleppte, bis sie endlich ein paar Tore schossen und so im klassischen hysteron proteron den vermeintlichen Beweis für die Richtigkeit ihrer Nominierung nachlieferten.
Reden wir auch nicht davon, dass er lange gebraucht hat, die Klasse von Kroos und Hummels anzuerkennen oder dass er sich nach wie vor schwer tut, mit Kruse als einzigem Stürmer, der den Ansprüchen der vorgehabten Spielweise genügen könnte, sein altes Stürmerproblem zu lösen. Wir wollen, wie gesagt, nicht reden, worüber wir gerade reden, denn tatsächlich tut Löw ebenso oft auch Dinge, die er nicht tun will. Das ist eine seiner Stärken.
Bemerkenswert ist, dass die Vorbehalte der deutschen Fankultur gegen ihren besten Mann nie ganz verschwunden sind. Selbst die WM hat es allenfalls schwer gemacht, in der Stunde des Sieges was gegen ihn zu sagen. Beim ersten schlechten Spiel brach das Ressentiment in Form des Rufs nach Führungsspielern und den sogenannten deutschen Tugenden wieder auf. Orchestriert von ehemaligen Spielern, die genau das früher selbst waren und von denen sich mit Sicherheit sagen lässt, dass sie heute keine Chance auf eine EM-Nominierung hätten.
Joachim Löw ist schwer zu verkraften für die Deutschen. Das beginnt wirklich schon beim Äußerlichen. Er ist gutaussehend und stets elegant gekleidet. Und nicht nur das reizt die latent homophobe Fankultur. Michael Ballacks Berater, ein Mann namens Becker, brachte, als sein Klient sportlich den Anschluss verlor, zum Ausdruck, was viele deutsche Fans ohnehin immer befürchtet hatten: dass ein schwules Netzwerk innerhalb der Nationalelf es eher geraden Typen erschwere, dort zu reüssieren.
Das eine und das andere gehört zusammen. Der gleichermaßen gut organisiert und leichtfüßige Fußball ist das Gegenbild dessen, was sich ein testosterongetränkter Fußballverstand vorstellt. Wo jeder Spieler bewusster Teil der taktischen Gestaltung ist, braucht es keine Führungsfiguren, und wo die Probleme spielerisch gelöst werden können, werden Kampf und Eifer überflüssig. Natürlich sind Intelligenz und das Feminine nicht schlechthin identisch; im lebendigen Ressentiment der männlichen Kultur werden sie aber zum homogenen Feindbild. Im Narzissmus des kleinen Mannes.
Wir haben Löw also auch für Klarheit an dieser Front zu danken.
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