Gebete ans Innenohr

Swans

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Eins sei vorweg klargestellt: Michael Gira ist Atheist. Und er ist Komponist, Sänger, Gitarrist, Visionär. Es heißt, er höre in den letzten Jahren nicht mehr sehr gut. Worüber man sich nicht allzu sehr wundern muss. Gira, 62 Jahre alt, steht den Swans vor, einem Musikkollektiv, das zunächst von 1982 bis 1997 einen düster-apokalyptischen Industrialkrach kultivierte und seit seiner Wiedergründung im Jahr 2010 seinen ganzen Ehrgeiz in das Vorhaben legt, den klarsten und entzückendsten reinigenden Lärm zu erzeugen, der gegenwärtig zu bekommen ist. Nun werden Sie zu Recht fragen: Anschwellende Gitarrenwände? Sich bis zum Sankt-Nimmerleinstag wiederholende, schroffe, monotone, sägende Gitarrenriffs? Bei deren Wahrnehmung der Hörer nach spätestens zehn Minuten erfolgreich in eine uns bislang unbekannte Zwischenwelt transzendiert? Kennt man ja schon, hatte man ja schon, gab’s ja schon zu Genüge in den Achtzigern! Stimmt! Die Swans aber haben diese Musiziertechniken perfektioniert und dabei ein Verfahren entwickelt, in einer gottlosen und gewalttätigen Welt wie der unseren wieder Schönheit zu installieren.

Die Musik der Swans ist schön. So wie das Meer schön ist mit seiner Ebbe und seiner Flut und seinem ewigen immergleichen Hin und Her, das die menschlichen Sinne gleichermaßen extrem beruhigt und extrem schärft.

Wer von Musik unterhalten werden will, ist hier falsch. Wer in Musik verschwinden will, ist richtig. »Spiegel Online« nennt Gira einen »Zen-Meister«, der vom Hörer eine »zweistündige Meditation« zu Klängen verlange, bei denen es um die »Befreiung und Befriedung der Seele von aller irdischen Pein« gehe. Und in »Spex« heißt es, Konzerte der Swans seien »zugleich Teufelsaustreibungen, Reinigungsrituale und Bußpredigten«. Klar: Hier geht es um Ekstase, Katharsis, Seelenreinigung. Und um die totale Kontemplation. Sie sehen: Wir überschreiten hier den Bereich der Kunst und begeben uns in den der Religion, der Psychologie, der Spiritualität. »Mehr Religion ohne Religion geht kaum« (»Spex«).

Manchmal ist minutenlang nur leises rhythmisches Schnarren, possierliches Brummen, liebliches Folk-Geplänkel und sanftes Klangschalengedengel zu hören, das den Hörer zur Besinnung ruft, bevor schlagartig das gehörgangzermalmende, monumentale, heilige Dröhnen wieder einsetzt, das uns streng zur Meditation ruft. Ja, so sind sie, die tückischen Swans: geben keckerweise kurzzeitig Ruhe, bevor sie schließlich wieder mit ihrem orkanartigen Gitarrengewummere anfangen, das einen mit der Wucht eines Sechzehntonnengewichts trifft. »The Glowing Man« soll das letzte Swans-Album dieser Art sein. »Finally, Peace« heißt das Schlussstück.

Swans: »The Glowing Man« (Mute/Rough Trade)

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