Ein Account namens Gabriel

Wie sich der SPD-Vorsitzende im Internet als linker Sozialdemokrat inszeniert

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Sigmar Gabriel ist auf einem guten Weg. Täglich rückt er ein Stückchen weiter nach links. Er weiß worauf es ankommt. Sigmar Gabriel? Ja, der Facebook-Account dieses Namens. Dachtet ihr etwa, der Vize-Kanzler sei gemeint?

Letzte Woche fiel dem obersten Sozialdemokraten auf, dass es ungerecht sei, dass » Arbeit stärker besteuert wird als Kapitaleinkünfte«. Dass Vermögende eine kleinere Steuer- und Abgabenlast haben, als Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, fand er obendrein ungerecht. Außerdem gäbe es Bäckermeister mit höheren Steuersätzen als Starbucks, was er auch als ungerecht empfindet. Letzteres ist übrigens kein Kunststück, denn Starbucks zahlt phasenweise überhaupt keine Abgaben. Es könne nicht mehr sein, folgert Gabriel aus dieser Schieflage, dass »die normalen Bürger alleine das Gemeinwohl in Deutschland bezahlen«. Applaus! Der Mann findet endlich wieder sozialdemokratische, ja richtig linke Themen. Das wurde mit Likes honoriert und die Claquere riefen ihm Durchhalteparolen zu und stärkten ihm den Rücken. Sichma, der mit den Schwatten, der ist eben doch ein richtiger Sozi.

Kennte einer die Wirklichkeit da draußen nicht und würde die Sozialdemokratie nur mittels Statusmeldungen des SPD-Vorsitzenden wahrnehmen, so müsste er zur Ansicht kommen, dass alle Kritiker der Sozis nicht ganz bei Trost seien. Mensch, der Mann ist doch auf Kurs. Tag für Tag bestätigt er das. Er legt Kränze in Auschwitz nieder und ist dann so ergriffen von seinem handschriftlichen Eintrag ins dortige Gästebuch, dass er glatt ein Foto knipst und es gleich für seine Freunde online präsentiert. Er fordert Lohngerechtigkeit und eine Regulierung von Leiharbeit, faire Löhne sind ihm ohnehin ein Anliegen. Neulich postete er wirklich, dass es ohne Zustimmung von Bundestag und Bundesrat kein CETA geben sollte. Zu TTIP sagte er jetzt nichts. Aber Facebook braucht schließlich jeden Tag ein Füllsel. Es wird also schon noch was dazu kommen. Kurzum, der Mann tickt doch richtig. Wer ihn nur so kennt, als Account gewissermaßen, der könnte sich zurücklegen und sagen, dass die kleinen Leute immer noch eine adäquate Vertretung im Lande haben.

Menschen und Accounts sind nie deckungsgleich. So wie man seit Heraklit weiß, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann, so ahnen wir Menschen aus dem Zeitalter sozialer Netzwerke, dass man auch nicht sein Profil ist, sondern sich in diesem bestenfalls profiliert. Der Account namens Sigmar Gabriel ist ganz offenbar nicht der Mensch Sigmar Gabriel. Auch dann nicht, wenn er seine Eindrücke selbst tippt und veröffentlicht. Der Mensch und Vize-Kanzler, der mit Unternehmern und Koalitionspartnern zusammenkommt, redet ganz anders, setzt andere Schwerpunkte, spricht wesentlich seltener von Ungerechtigkeit und der Notwendigkeit etwaige solche abzustellen. Freihandelsabkommen hat er da nicht ganz so gerne transparent und demokratisch kontrolliert.

Zwischen dem beschriebenen Facebook-Sozialisten und dem Wirtschaftsminister in persona liegt eine tiefe, vielleicht unüberwindbare Kluft. Ersteres ist eine Kunstfigur, der rhetorische Ausbund seiner längst an den Haken gehängten Ideale, der auf der Jagd nach geklickter Anerkennung ist, die ihm im realen Politikbetrieb jeden Tag ein wenig mehr abhanden kommt. Linksruck der Sozialdemokraten mit diesem Mann? Das glaubt heute keiner mehr. Als digitales Avatar ist er hingegen der große Sozialistenführer, der weiß worauf es ankommt. Man müsste eigentlich nur mal wissen, wer das wahre Ich des Sigmar G. repräsentiert.

Sich profilieren, das tun alle in dieser Epoche. Jeder zeigt sein Leben und macht aus sich, was er so nicht ist. Wir sind alle viel banaler als unsere Accounts. Und unsere Accounts sind eine Idealvorstellung. Aber es wird wenige Zeitgenossen geben, die zwischen Account und Wirklichkeit derart fehlgehen, wie dieser Vorsitzende einer Partei, die so sein sollte, wie er in seinem Second Life, aber leider so ist, wie er wirklich auftritt. Die SPD müsse radikaler werden, hat der Mann unlängst gefordert. Wenn sie halbwegs so wird, wie der Account namens Gabriel, dann reicht das schon fast.

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