Für manche bleibt nur Sterbehilfe

Wanderungsbewegung in Sachsen stärkt nur Großstädte und wenige »versteckte Perlen«

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Sachsen zieht es in die großen Städte; nur wenige mittlere Städte können sich behaupten. Sie sollen, so fordert eine Studie, gestärkt werden - zu Lasten vieler anderer.

Der »Schwarm« fliegt seit zehn Jahren, und sein Sog nimmt zu. Immer mehr Sachsen ziehen in wenige große Städte - in vier »Schwarmstädte«, wie sie in einer Studie im Auftrag der beiden Wohnungsverbände im Freistaat genannt werden. Vor allem junge Leute um die 30 flögen Vögeln gleich überall im Land auf und ließen sich in Leipzig, Dresden, Chemnitz und Freiberg nieder: »Sie wollen Altersgenossen in Fahrradentfernung haben«, sagt Harals Simons vom Empirica-Institut, der Autor der Studie.

Dem Papier zufolge wohnt mit 1,8 Millionen Menschen mittlerweile etwa die Hälfte der Sachsen in nur noch 22 Gemeinden. Darunter zählen neben Leipzig und Dresden, deren Bevölkerungszahl regelrecht explodiert, auch Orte wie Zwickau, Görlitz, Plauen oder Meißen, die moderat von Zuwanderung profitieren. Zu den Nutznießern gehören aber auch Orte im unmittelbaren Umland von Leipzig und Dresden: Taucha und Markleeberg oder Freital und Radebeul.

Daneben aber gibt es große Teile Sachsens, die unter massiver Landflucht leiden. Auf immerhin 391 Gemeinden verteilen sich die übrigen 1,9 Millionen Sachsen, und das Ungleichgewicht wird sich weiter verstärken. Zu den schrumpfenden Orten gehören auch elf der 24 Städte mit über 20 000 Einwohnern. Extremster Fall ist Hoyerswerda. In der Lausitzstadt bleiben von 100 Menschen eines Altesjahrganges nur 39 wohnen.

Der Trend des »Schwärmens« begann Simons zufolge vor etwa zehn Jahren; er ist überall in Deutschland zu beobachten - und er hat Folgen, die der Experte »absurd« nennt. Während in den Boomstädten die Wohnungen knapp und teuerer werden, Kitaplätze fehlen und Schulen aus allen Nähten platzen, stehen anderswo Wohnungen, Schulen und Kitas leer und werden abgerissen, was eine erhebliche Vernichtung von Investitionen und Vermögen darstellt. Die Politik, fordert Simons, müsse deshalb versuchen, sich »gegen den Trend zu stemmen«.

Ein Rezept, das lange als Erfolgsformel galt, wird freilich den Erwartungen nicht wirklich gerecht: die Ansiedlung von Firmen und Schaffung von Arbeitsplätzen in ländlichen Regionen. Das stoppe oft nicht die Abwanderung, sondern erzeuge neue Pendlerströme, sagt Simons. So wachse in Leipzig die Zahl der Jobs viel langsamer als die der Einwohner - was kein Problem ist, weil viele Neu-Leipziger zur Arbeit nach Merseburg, Bitterfeld oder Wurzen pendeln. Das gehöre zu den Erkenntnissen der Studie, die auch ihn selbst verblüfft hätten, räumt Simons ein.

Einfluss nehmen könne die Politik jedoch, indem einige kleinere Städte gegenüber den Schwarmstädten gestärkt werden. Es handelt sich um so genannte »versteckte Perlen«: Orte, aus denen auch weggezogen wird, die aber zugleich nennenswerten Zuzug aus ihrem Umland verzeichnen. In Sachsen sind das elf Orte, darunter Bautzen, Döbeln, Stollberg oder Borna. Sie seien »Stabilisierungsanker« in Regionen, die erhalten werden sollten. Die Studie empfiehlt, Fördergeld auf solche Orte zu konzentrieren, dort aber auch Verwaltungen, Krankenhäuser oder Einkaufsmöglichkeiten zu bündeln. Auch eine Eigenheimzulage für den Erwerb von Wohnungen oder Häusern speziell in den Zentren solcher Städte sei denkbar. Und man solle»Flüchtlinge als Chance begreifen«, sagt Simons: »Wer es jetzt nicht schafft, Menschen bei sich anzusiedeln, ist selbst Schuld.«

Die vorgeschlagene Umverteilung von Geld und die Bündelung von Verwaltungen wäre freilich politisch sehr brisant - weil es Leidtragende gibt: jene Städte, in denen nicht mehr zu erwarten ist, dass sich der Trend umkehrt. Dort gelte es »Härten zu mindern, ohne falsche Hoffnung zu wecken« - indem etwa Straßen geflickt, aber nicht mehr grundlegend erneuert werden. Der Forscher spricht von »palliativ-medizinischer Betreuung« - es gehe darum, das Sterben erträglich zu machen. Bisher scheut man vor solch harten Schnitten oft zurück und versucht, Ressourcen gleichmäßig im Land zu verteilen. Simons hält das für falsch. Wenn Ämter oder Hochschulen zwischen zwei Städten aufgeteilt würden, sei der Effekt meist negativ: »Man hat dann zwei Halbtote.«

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