Brexit gibt Rechten und EU-Kritikern Auftrieb

Gegner der Europäischen Union in den Niederlanden, Frankreich und Österreich fordern weitere Referenden / AfD will Ausstiegs-Mehrheit feiern

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Der Sieg des Brexit-Lagers beim Referendum in Großbritannien wird von der politischen Rechten in Europa bejubelt. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) wertet den Brexit als ein Zeichen gegen politischen Zentralismus und die europäische Flüchtlingspolitik. Ein EU-Referendum liege auch für Österreich nahe, falls die EU reformunwillig bleibe oder Länder wie die Türkei als Mitglied akzeptiere, teilten FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und FPÖ-Europaabgeordneter Harald Vilimsky am Freitag mit.

Sie forderten zudem den Rücktritt von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Reformen in Europa seien nur ohne Schulz und Juncker möglich, die für massive Fehlentwicklungen in Europa verantwortlich seien. Österreichs Kanzler Christian Kern (SPÖ) hatte zuvor ein Referendum ausgeschlossen.

»Sieg«, twitterte die Vorsitzende des rechtsradikalen Front National, Marine Le Pen. Sie hatte in der Vergangenheit immer wieder ihre Forderung nach einem Referendum über einen Austritt Frankreichs aus der EU erneuert. Eine Volksabstimmung ist allerdings nur mit Zustimmung des Staatspräsidenten möglich. Die Europaabgeordnete Le Pen machte ihre Partei bei der vergangenen Europawahl zur stärksten Kraft in Frankreich. Bruno Le Maire, ein potenzieller Kandidat der bürgerlichen Rechten für die Präsidentschaftswahl 2017, fordert auch ein Referendum – allerdings, um die EU-Verträge zu ändern.

Bei seiner Ankunft in Großbritannien begrüßte auch der designierte republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump das Brexit-Votum der Mehrheit der Briten. Das Ergebnis des Referendums sei »fantastisch«, sagte der Immobilienmogul am Freitag vor einer Feier zur Neueröffnung eines seiner Golfplätze im schottischen Turnburry. Vor seinem Kurzbesuch in dem Königreich hatte sich der Rechtspopulist dafür ausgesprochen, dass die Briten es »alleine machen«. Trumps Besuch stieß nicht auf allgemeine Begeisterung: Zwei Aktivistengruppen organisierten Proteste vor dem Golfplatz, um zu zeigen, dass Trump im EU-freundlichen Schottland »nicht willkommen« sei.

Frohlocken war auch bei der deutschen Rechtsaußen-Partei zu hören: Nach dem Brexit-Votum der Briten sprach die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch von einem »historischen Tag«. »Ich denke, es wird Feiern geben«, antwortete sie auf die Frage nach den Plänen der AfD. Von Storch, die auch stellvertretende Vorsitzende der rechten EFDD-Fraktion in der europäischen Volksvertretung ist, forderte zudem den Rücktritt des EU-Parlamentschefs Martin Schulz (SPD) und des Kommissionschefs Jean-Claude Juncker. Das Ergebnis sei ein klares Signal, dass die Politik der beiden EU-Spitzenpolitiker gescheitert sei, so die Politikerin gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.

Auch der Fraktionschef der AfD Thüringen, Björn Höcke, zeigte unverhohlen seine Freude über den Ausgang des Referendums. »Ich bin glücklich«, erklärte er. Mit dem Austritt aus der EU hätten die Briten den Weg des »kollektiven Wahnsinns« verlassen und sich für Demokratie und Volkssouveränität entschieden. Er forderte einen Volksentscheid über den Verbleib Deutschlands in der EU. »Ich weiß, auch das deutsche Volk will mehrheitlich raus aus der EU-Sklaverei«, so Höcke wörtlich.

Auch in den Niederlanden strebt die rechtspopulistische PVV nun ein Referendum für den Ausstieg aus der EU an - dies wurde unter Berufung auf den Parteichef Geert Wilders gemeldet. »Bye bye Brüssel«, jubelte Wilders angesichts des Vorsprungs für das Brexit-Lager in Großbritannien am Freitag auf Twitter. »Und die Niederlande werden die Nächsten sein!« Am Donnerstag hatte Wilders im Fernsehsender Phoenix gesagt: »Man kann den Geist nicht mehr in die Flasche bekommen. Das Ende der EU hat schon begonnen, unabhängig davon, wie sich die Briten entscheiden.«

Beobachter rechnen nun damit, dass in noch weiteren Ländern die Anti-EU-Bestrebungen von rechts neuen Rückenwind erhalten. Auch die dänischen Rechtspopulisten hatten im Falle eines Brexit ein Referendum über einen EU-Austritt im eigenen Land gefordert. »Dann will ich eine Volksabstimmung haben, um zu klären, ob Dänemark sich so eine Lösung wünscht«, sagte der Chef der Dansk Folkeparti, Kristian Thulesen Dahl, jüngst der Zeitung »Jyllands-Posten«. »Es geht darum, mehr Selbstbestimmung zurückzugewinnen.« Die liberale Regierungspartei Venstre wehrt sich jedoch genau wie die übrigen Oppositionsparteien gegen diesen Vorschlag.

In Ungarn gibt es derzeit noch Pläne der Rechtsaußen-Regierung von Premier Viktor Orban für ein Referendum zu den EU-Flüchtlingsquoten. Dabei geht es um künftige, nicht um die schon beschlossenen Quoten. Gegen letztere klagt Budapest vor dem Europäischen Gerichtshof. Die Abstimmung ist im Herbst geplant, der Termin noch offen. Das Verfassungsgericht wird noch prüfen, ob das Referendum verfassungskonform ist und nicht etwa gegen internationale Verträge verstößt.

Die populistische Fünf-Sterne-Partei in Italien sieht als Grund für die EU-Kritik insbesondere die Sparpolitik. »Die Europäische Union muss sich ändern, ansonsten stirbt sie«, hieß es am Freitag im Blog des »Movimento 5 Stelle« (M5S) des früheren Starkabarettisten Beppe Grillo angesichts des Brexit-Votums zum britischen EU-Ausstieg. Die Mitgliedstaaten seien »unfähig, eine Gemeinschaft zu sein«. Die Sparpolitik ins Zentrum des politischen Handels zu stellen, sei ein entscheidender Fehler gewesen. nd/Agenturen

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.