Brexit kickt die Mark aus EU-Hilfen
Rund 450 Millionen Euro Fördermittel pro Jahr könnte das Bundesland einbüßen
Durch den Austritt Großbritanniens aus der EU könnte das Land Brandenburg ab 2020 jährlich rund 450 Millionen Euro an EU-Fördermitteln einbüßen. Das entspräche 4,6 Prozent des Landeshaushalts. Im vergangenen Jahr hatte das Bundesland 466 Millionen Euro aus Brüssel erhalten. »Das könnte zumindest nach den derzeit geltenden Spielregeln nachteilig durch den Brexit beeinflusst werden«, sagte Finanzminister Christian Görke (LINKE) dem »nd« am Freitag. Mit Großbritannien würde eine führende Industrienation aus den Berechnungen herausfallen. Görke erklärte: »Derzeit ist Brandenburg mit 87 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens der EU als Übergangsregion eingestuft. Bei einem Austritt von Großbritannien aus der EU würde das EU-Durchschnittseinkommen sinken und das Pro-Kopf-Einkommen in Brandenburg über 90 Prozent ansteigen.« Die Folge: Brandenburg würde »aus der EU-Förderung ausscheiden«.
Weitere ostdeutsche Länder könnten auf diese Weise vom Brexit betroffen sein. Brandenburg gehörte nach der Wende - so wie andere ostdeutsche Länder auch - offiziell zu den armen Regionen der EU, und erhielt deswegen eine großzügige Unterstützung. Es galt als Höchstfördergebiet. Das änderte sich durch wirtschaftliche Erholung, aber nicht zuletzt auch durch statistische Effekte. So traten bei der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 zehn mehr oder weniger strukturschwache Staaten in die EU ein: Polen, Tschechien, Ungarn, die Slowakei und Slowenien, Litauen, Estland und Lettland sowie Malta und Zypern. 2007 kamen noch Rumänien und Bulgarien hinzu. Dies senkte das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der EU und führte dazu, dass Brandenburg weniger EU-Fördermittel bekam. Nun könnte damit ganz Schluss sein.
Doch damit nicht genug. Minister Görke befürchtet auch Auswirkungen des Brexits auf britische Investitionen in Brandenburg. »Zu nennen wäre hier beispielsweise der Standort von Rolls-Royce für die Produktion von Triebwerken in Dahlewitz.« Auf der anderen Seite sieht Görke Exporte in Gefahr. Großbritannien sei »Deutschlands drittwichtigster Handelspartner« nach den USA und Frankreich. Bekannte deutsche Firmen investierten in Großbritannien, darunter der Chemiekonzern BASF und der Fahrzeughersteller BMW. BASF produziert auch in Schwarzheide, BMW baut in Ludwigsfelde Kleintransporter.
Görke denkt aber nicht nur an Wirtschaft und Finanzen. Der Brexit schwebte »wie ein Damoklesschwert über der Europäischen Union«, meinte er. Das Ergebnis vom Donnerstag, als die Briten für den Ausstieg stimmten, »macht mich als Finanzminister genauso unglücklich wie als Linker und Europäer«, sagte Görke. Er befürcht als Folge des Austritts »eine abnehmende Akzeptanz der EU in der europäischen Bevölkerung insgesamt«. Bereits jetzt profitiere die AfD in Umfragen von Themen wie Eurokrise und Migration. Der Brexit könnte die Europakritiker in Deutschland bestärken, erwartet Görke.
Tatsächlich sieht der Landtagsabgeordnete Franz Wiese (AfD) nach dem Brexit bereits den Dexit, also den Ausstieg Deutschlands aus der EU heraufziehen. »Nächstes Jahr sitzt die AfD im Bundestag«, prophezeite Wiese. »Der Dexit wird ganz oben auf unserer Agenda stehen.« Die SPD-Landtagsabgeordnete Barbara Hackenschmitt bedauerte, der Brexit könne für Brandenburg Auswirkungen haben. Sie verwies auf die rund 300 märkischen Firmen, die enge Geschäftsbeziehungen nach Großbritannien pflegen, und auf die mehr als zwei Dutzend britischen Firmen, die in der Mark investiert haben, »einige von ihnen im großen Umfang«.
Europaminister Stefan Ludwig (LINKE) warnte vor »Panikmache«. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) glaubte, auch wenn politische, soziale und wirtschaftliche Folgen derzeit schwer abzuschätzen seien, so könne er doch für Brandenburg versichern: »Unsere Beziehungen zu Großbritannien sind sehr vielseitig und so gut, dass ich derzeit keine gravierenden Auswirkungen auf unsere partnerschaftliche Zusammenarbeit erkennen kann.« Seite 13
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