Bildungsreform zerstört Bildung

Mexikanische Lehrergewerkschaft wehrt sich gegen neoliberales Regierungsprojekt

  • Jana Flörchinger, Mexiko-Stadt
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Verhandlungen zwischen der mexikanischen Regierung mit der Lehrergewerkschaft gingen erfolglos zu Ende. Zuvor gab es acht Tote bei Zusammenstößen zwischen streikenden Lehrern und Polizei.

Die Zeichen stehen weiter auf Auseinandersetzung: Die progressive Lehrervereinigung CNTE (Nationale Koordination der Erziehungsarbeiter) ist eine kampfstarke linke Gewerkschaft in Mexiko, die landesweit etwa 100 000 Mitglieder zählt. Gegen die geplante Bildungsreform hat sie zum Streik aufgerufen und damit die Regierung an den Verhandlungstischgezwungen. Das wertete die CNTE zunächst als Erfolg im Konflikt um die Bildungsreform der amtierenden Partei der Institutionellen Revolution (PRI). Die Gespräche verliefen allerdings erfolglos, da Innenminister Miguel Ángel Osorio Chong nach dem Treffen am vergangenen Mittwoch lediglich erneut betonte, dass man nur für Lösungen offen sei, die den Inhalt der Reform nicht berühren.

Die zentrale Forderung seitens der CNTE ist kategorisch: Die Bildungsreform muss gestoppt werden. Die CNTE, die sich 1979 von der offiziellen und bisher kaum in Erscheinung getretenen Lehrergewerkschaft SNTE (Nationale Gewerkschaft der Erziehungsarbeiter) abspaltete, will in dieser Frage nicht locker lassen.

Im südöstlichen Bundesstaat Oaxaca ist die CNTE besonders stark. Dort kam es wenige Tage vor den Verhandlungen zu den bisher heftigsten Auseinandersetzungen im Zuge des Bildungsstreiks, bei denen mindestens neun Menschen starben, über hundert verletzt wurden und es zu willkürlichen Festnahmen auch in Mexiko-Stadt kam.

Indessen erhält die CNTE immer mehr Solidaritätsbekundungen seitens politischer und sozialer Gruppen. So auch von der Zapatistischen Armee der nationalen Befreiung (EZLN) aus Chiapas, die in einem Kommuniqué »die neoliberale kapitalistische Reform« verurteilt.

»Der Kampf der Lehrergewerkschaft ist mehr als nur ein Kampf gegen die Reformen«, erklärt der CNTE-Aktivist Gabriel Herrera im Gespräch mit dem »nd«. »Es geht hier um Alternativen zur offiziellen Bildung.« Eine Bildung bezüglich Umwelt und Natur, die Kultur und Sprache der Indigenen respektiert und Raum für kritische Perspektiven schafft, sei dabei von besonderer Bedeutung, betont der Aktivist.

Ein wichtiger Streitpunkt der Reform ist die Einführung von Prüfungen für Lehrer, die alle zwei Jahre absolviert werden müssen. Bei Nichtbestehen der Tests, die zudem auf den Standards städtischer Bildungseinrichtungen basieren und den Kontext ländlicher Regionen völlig ignorieren, wird die Arbeitsgenehmigung entzogen. Bisher erhalten Pädagogen im öffentlichen Dienst nach erfolgreichem Abschluss des Studiums einen unbefristeten Vertrag. Die Lehrer würden damit grundlegende Arbeitsrechte verlieren.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Übertragung von Zuständigkeiten bei der Finanzierung von Schulen, die derzeit unter staatlicher Verantwortung stehen und auf die Kommunen übertragen werden sollen. Was von der Regierung als Konzept für mehr Autonomie ausgelegt wird, entpuppt sich als Strategie, um insbesondere in ländlichen oder von Armut geprägten Regionen den Zugang zu alternativen Bildungseinrichtungen zu erschweren. Da viele Schulen auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, würde diese Form der Umstrukturierung zu Einschränkungen im Schulbetrieb führen, sodass viele Einrichtungen auf private Mittel zurückgreifen müssten. Die scheinbare Selbstbestimmung würde auf diese Weise privaten Investoren den Zugang zum öffentlichen Bildungssystem ebnen, das in der Folge schrittweise verschwinden würde. Es wird immer deutlicher, dass es nicht nur ein Kampf um Arbeitsrechte ist, sondern um die Verteidigung einer öffentlichen Bildung.

Die CNTE ist im Süden am besten organisiert, wo die Konsequenzen der Reformen besonders spürbar wären. Der Anteil der indigenen Bevölkerung ist dort sehr hoch, sodass in manchen Gegenden kaum Spanisch gesprochen wird und eine bilinguale Förderung der Schüler essenziell ist. Hier ist über Jahrzehnte ein Bildungssystem entstanden, das speziell den Bedürfnissen der Menschen in dieser Region entspricht und nicht durch standardisierte Lehrpläne die Bewohner weiter marginalisiert.

Die Bildungsreform zielt folglich darauf ab, genau die Regionen zu schwächen, in denen die Gewerkschaft besonders gut vernetzt ist. Denn eine gut organisierte Gewerkschaft, die in der Lage ist, die neoliberalen Interessen der Regierung zu entlarven, stört die Machenschaften der PRI. Mithilfe der Medien, die eine Diffamierungskampagne gegen die CNTE fahren und durch die brutalen Repressionen bei Demonstrationen, wird das Ziel, die in linken Kreisen verankerte Lehrergewerkschaft zu schwächen, einmal mehr deutlich.

Anfang Juni musste die PRI, die bis 2000 über 70 Jahre in Folge den mexikanischen Präsidenten stellte und seit 2012 wieder an der Macht ist, allerdings trotz Hinweisen auf Wahlfälschung bei den Kommunal- und Gouverneurswahlen herbe Niederlagen einstecken. Im Hinblick auf den Machtverlust und die Präsidentschaftswahlen 2018 steigt nun der Druck, die Bildungsreform als Teil eines groß angelegten neoliberalen Reformpakets durchzusetzen, um es als politische Errungenschaft zu präsentieren. Die CNTE wird dabei weiter nicht tatenlos zusehen.

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