Gaza-Bewohner enttäuscht vom Deal der Türkei mit Israel
Normalisierung der staatlichen Beziehungen bringt kein Ende der Blockade des Küstenstreifens / Hamas ist über Ankara verärgert
Es ist die Nachricht dieser Tage im Gaza-Streifen: Überall sitzen, stehen die Menschen vor den Fernsehern, lauschen irgendeinem Radio - und wenn wieder Funkstille herrscht, weil der Strom ausgefallen ist, steht man zusammen und diskutiert, was das Abkommen zwischen Israel und Türkei für den Gaza-Streifen bedeutet.
Am Sonntag hatten die Regierungen in Ankara und Jerusalem bekannt gegeben, dass man sich nach sechs Jahren offiziell auf eine Aussöhnung geeinigt hat. Zum Streit war es 2010 gekommen, nachdem israelische Soldaten sechs mit Hilfsgütern beladene Schiffe gestürmt hatten, die die Seeblockade des Gaza-Streifens brechen wollten. Auf einem, der »Mavi Marmara«, wurden dabei acht türkische Staatsbürger und ein türkischstämmiger US-Bürger getötet.
Israels Regierung hat sich nun offiziell für den Militäreinsatz entschuldigt; außerdem wird man den Familien der Opfer umgerechnet rund 19 Millionen Euro Entschädigung zahlen. Im Gegenzug wird die türkische Regierung die vor türkischen Gerichten laufenden Prozesse gegen möglicherweise beteiligte israelische Militärangehörige einstellen. Außerdem soll eine Pipeline gebaut werden, über die die Türkei Zugang zu den großen Gasvorkommen in Israel erhalten soll.
Was aber vor allem die Menschen im Gaza-Streifen interessiert, ist das, was darüber hinaus vereinbart wurde: Die türkische Regierung hatte eine Aussöhnung in den vergangenen Jahren von einer Aufhebung der Blockade des Gaza-Streifens abhängig gemacht; Israel forderte derweil, die Türkei solle örtliche Büros der Hamas schließen.
Als die Vereinbarung am Montagmittag bekannt gegeben wird, ist vor allem im Gaza-Streifen die Enttäuschung groß. Die Blockade wird nicht aufgehoben, und der Gaza-Streifen bekommt auch keinen eigenen Seehafen; stattdessen wird die Türkei über den israelischen Hafen Aschdod Hilfsgüter liefern. Und sie wird auch ein Elektrizitätswerk, eine Meerwasserentsalzungsanlage und medizinische Einrichtungen bauen.
»Wir bekommen also keine Reisefreiheit, keine Möglichkeit zu entkommen«, sagt beispielsweise Abed, ein 21-jähriger Student, während ältere Palästinenser in Gaza vor allem vom Wunsch sprechen, wieder in Israel arbeiten zu können, so wie es vor der zweiten Intifada der Fall war.
Skepsis herrscht aber auch auf der israelischen Seite. Das Hamas-Büro in der Türkei bleibt erhalten; die Türkei hat sich nur verpflichtet, dafür zu sorgen, dass dort keine Aktionen gegen Israel geplant werden; einigen hochrangigen Hamas-Funktionären soll zudem die Einreise verweigert werden. »Man stelle sich vor, was los wäre, wenn eine linke Regierung ein solches Abkommen ausgehandelt hätte«, sagt Jitzhak Herzog, Vorsitzender des Links-Mitte-Bündnisses Zionistische Union.
Vor einigen Tagen hatte sich der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan mit Khaled Maschal, Chef des in Katar ansässigen Politbüros der Hamas, getroffen. Bei dem Gespräch sei Maschal über das Abkommen mit Israel informiert worden, heißt es aus dem Umfeld der türkischen Regierung. Gleichzeitig habe Erdogan versucht, die Gesprächskanäle zum Hamas-Politbüro offen zu halten, das nun, wie mehrere Stellungnahmen der Hamas zeigen, verstimmt ist, während die Kassam-Brigaden, der militärische Flügel der Hamas, das Abkommen als »Verrat« bezeichnen und zu einem neuen Krieg mit Israel aufrufen.
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