Ballstädt-Opfer beklagen Hinhaltetaktik
Thüringer Verfassungsschutz soll Abhörprotokoll freigeben
Zwei Rechtsvertreter von Opfern des mutmaßlichen Neonazi-Überfalls von Ballstädt (Thüringen) klagen gegen den Verfassungsschutz des Freistaates. Sie hätten vor dem Verwaltungsgericht Weimar Klage gegen den Inlandsnachrichtendienst eingereicht, um schnell sicherzustellen, dass die Sicherheitsbehörde bestimmte Abhörprotokolle an das Landgericht Erfurt übersendet, die für den Ballstädt-Prozess sehr wichtig seien, erklärten die Rechtsanwälte Kristin Pietrzyk und Sven Adam am Mittwoch in Ballstädt. Gleichzeitig erhoben sie schwere Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz. Ein Sprecher des Thüringer Innenministeriums wies die Kritik zurück.
Bei den Abhörprotokollen handelt es sich um jene Dokumente, über deren Existenz der MDR unmittelbar nach dem blutigen Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt (Landkreis Gotha) im Februar 2014 berichtet hatte. Dem Bericht nach soll eine automatisierte Abhöranlage des Verfassungsschutz die Verabredung zu dem Überfall aufgezeichnet haben, weil gegen mindestens einen der mutmaßlichen Täter eine nachrichtendienstliche Überwachung lief. Allerdings wurde die Aufzeichnung erst Stunden nach dem Überfall ausgewertet, sodass der Angriff nicht verhindert werden konnte. Wegen des Überfalls hat die Staatsanwaltschaft Erfurt vierzehn Männer und eine Frau als mutmaßliche Täter angeklagt, alle werden der rechten Szene zugeordnet. Der Prozess gegen sie läuft seit Ende 2015.
Pietrzyk und Adams erklärten, bislang lägen in dem Verfahren die Protokolle der Abhöraktion des Verfassungsschutzes nicht vor - obwohl das Landgericht Erfurt diese Unterlagen seit Februar beim Verfassungsschutz anfordere. Dadurch gefährde der Nachrichtendienst eine mögliche Verurteilung einzelner mutmaßlicher Täter. Dies sei »absolut inakzeptabel«. Und selbst dann, wenn es zu einer Verurteilung komme, könne es sein, dass durch die bisherige »Hinhaltetaktik des Thüringer Verfassungsschutzes« die Strafe für einzelne Angeklagte gemildert werde, weil der Prozess sich in die Länge ziehe. Dies wollten die Opfer des Übergriffs nicht akzeptieren. Anders als sie habe das Landgericht keine Möglichkeit, rechtlich gegen den Verfassungsschutz vorzugehen.
Gleichzeitig griffen die beiden Anwälte auch das Thüringer Innenministerium scharf an. Es sei unglaubwürdig, dass sich das Ressort von Minister Holger Poppenhäger (SPD) bislang nicht mit dem Prozess befasst habe und die Sache mit den Protokollen einer nachgeordneten Behörde überlasse, sagten Pietrzyk und Adams. Der Ballstädt-Prozess sei derzeit einer der größten und bedeutendsten Prozesse gegen Rechtsextreme in ganz Deutschland. Deshalb sei nun auch Poppenhäger in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Unterlagen des Verfassungsschutzes schnell und vollständig an das Landgericht übermittelt würden. Fünf Jahre nach dem Auffliegen der rechten Terrorzelle NSU könne es nicht sein, dass der Thüringer Verfassungsschutz erneut dem Strafrecht im Weg stehe.
Ein Sprecher Poppenhägers wies den Vorwurf zurück, der Verfassungsschutz halte im Zusammenhang mit dem Ballstädt-Verfahren Informationen zurück. Dass die entsprechenden Unterlagen bislang noch nicht an das Landgericht übermittelt worden seien, liege daran, dass es noch rechtliche Fragen zu klären gebe. Der Verfassungsschutz sei dazu mit dem Gericht »im Gespräch«. Die Protokolle würden zeitnah an das Gericht übersandt, wenn alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien.
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