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Seismograf der Gleichberechtigung
Sabine Kebir erinnert an die emanzipierte und für Emanzipation streitende Schriftstellerin Elfriede Brüning
Dies ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes, spannendes Buch: Leser und Leserinnen, die Elfriede Brünings Veröffentlichungen schon seit langem mit Interesse verfolgen, werden hier sehr viel Neues entdecken. Überraschendes gibt es auch für Literaturkritiker und Germanisten in Ost und West, die sich mit der Entstehung und Rezeption deutschsprachiger, weiblicher Gegenwartsliteratur beschäftigen. Und nicht zuletzt ist diese materialreiche Monografie ein Gewinn für alle an der Geschichte weiblicher Emanzipationsgeschichte Interessierten.
Elfriede Brünings Leben und Werk, ihre publizistischen und literarischen Arbeiten sowie ihre zumeist internen, kulturpolitischen Kämpfe symbolisieren den Werdegang einer berufstätigen Frau und erfolgreichen linken Autorin. Sie hat rund 30 Bücher mit einer Auflage von über 1,5 Millionen veröffentlicht. Sie war die älteste deutsche Autorin und aktiv bis zu ihrem Tod im August 2014 im stolzen Alter von 103 Jahren.
In der DDR wurde sie spät, in der Bundesrepublik kaum ernsthaft öffentlich gewürdigt. Die umfangreiche Monografie von Sabine Kebir reflektiert Gründe dafür und führt erstmals wissenschaftlich in das außergewöhnliche Leben und Werk der Schriftstellerin ein.
Von der Mutter, die aus einer kinderreichen Prenzlauer Familie stammte und früh als Kinder- und Hausmädchen bei betuchten Herrschaften arbeiten musste, hatte Elfriede Brüning die Liebe zum Lesen und zu Büchern geerbt. Sie las nicht nur ihrer kleinen Tochter vor, sondern auch nächtelang ihrem Mann, der von einem Dorf an der Oder stammte und sich in Berlin mehr schlecht als recht als Möbeltischler durchschlug. Die Mutter von Elfriede war Mützennäherin, bevor sie Ende der 1920er Jahre im Wedding eine kleine Bibliothek eröffnete, um die Familie über Wasser zu halten.
Schon als Schülerin erprobte sich Elfriede im Verfassen eigener Texte. Nach der Schule arbeitete sie zunächst als Bürofräulein und Sekretärin, lernte Schreibmaschine und begann, erst 16-jährig, ihre ersten Berlinreportagen Tageszeitungen anzubieten, die diese auch druckten. Realitätsnahes Schreiben blieb Grundlage ihres Schaffens, in der rauen Wirklichkeit fand sie ihren Stoff. Ihre Artikel und später auch Bücher gewährten sozialkritische Einblicke vor allem in das Leben von berufstätigen Frauen, wie sie selbst eine war, in einer von Männern dominierten Liebes-, Familien- und Arbeitswelt.
Elfriede kam mit dem »Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller« in Verbindung, wurde dessen jüngstes Mitglied, hatte bald auch den Ausweis der KPD in der Tasche und war nach 1933 illegal u. a. als Kurierin zwischen Berlin und Prag unterwegs. Ihre Männerbeziehungen blieben, zeitlebens, nur temporär und verliefen nicht sehr glücklich, waren aber politisch und literarisch nie folgenlos für sie. Dieses ambivalente Verhältnis zu Männern, die schwierige Vereinbarkeit von Berufs-, Liebes- und Familienleben wurden ihr Lebensthema. Und sie wurde nie müde, linkes Patriarchat zu kritisieren. Frauen ohne Männer, einschließlich der belastenden Folgen für die Kinder, war und ist oft bis heute ein hoher Preis weiblicher Emanzipation, ein Seismograph für die tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter und entscheidender Indikator für die Demokratisierung im Alltag der Gesellschaft und Geschlechter.
Obwohl ein halbes Jahr in der NS-Zeit wegen Verdacht auf Hochverrat im Frauenuntersuchungsgefängnis, aus dem sie wegen Mangel an Beweisen entlassen werden musste, konnte sie während der Hitlerherrschaft vier Bücher veröffentlichen, in der arbeitende Frauen im Mittelpunkt standen - obwohl das dem NS-Frauenbild zuwider lief. Nach der Befreiung machte sie sich mit beeindruckenden Nachkriegsreportagen über das Flüchtlingselend, sowie über Frauen, die sich allein mit den Kindern durchschlugen, verdient.
Es ist unmöglich hier alle Bücher zu würdigen, die nach 1945 von der populären Autorin erschienen; man lese die Monografie von Sabine Kebir. Einige seien jedoch zumindest erwähnt, so das Buch über das tragische Schicksal der Widerstandskämpfer Hans und Hilde Coppi, ihre Erzählung über politische Konflikte von Studenten an Arbeiter- und Bauernfakultäten (ABF), »Regine Haberkorn«, die gegen den Willen ihres Mannes berufstätig wurde, der autobiografisch geprägte Roman »Kleine Leute«, bereits kurz vor 1933 geschrieben und erst Jahrzehnte später veröffentlicht, und »Wie andere Leute auch« sowie schließlich ihre Autobiografie »Und außerdem war es mein Leben«. Des weiteren verfasste sie Prosa über Frauen, die vor der »Wende« in den Westen gingen und Kommunistinnen, die Stalins Lager überlebten, über eine einfühlsame Jugendrichterin, über die »alte Frau Hulda«, die in ein Heim abgeschoben wurde, über angebliche Zwangsadoptionen in der DDR sowie über Alltagserfahrungen nach 1990.
Die Literaturwissenschaftlerin Sabine Kebir hat mit dieser eindrucksvollen Monografie, Elfriede Brüning ein würdiges, durchaus auch kritisch reflektiertes Denkmal gesetzt.
Sabine Kebir: Frauen ohne Männer? Selbstverwirklichung im Alltag: Elfriede Brüning. Aisthesis. 954 S., geb., 34,95 €.
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