Zu Gast beim Freund

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Während der letzten WM-Endrunde hatte ich mich einige Male auf das auswärtige Gucken eingelassen. An einem heißen Nachmittag sah ich in einer schwülen, ich will mal sagen, Klubgaststätte, inmitten einer Mutter-Kind-Gruppe das Spiel zwischen Kamerun und Mexiko; frei nach dem Motto: Friede, Freude, Windeln. Mir wäre es ganz lieb gewesen, wenn die Ernst-Thälmann-Statur an der Greifswalder Straße zum Leben erwacht und auf einige Schrecksekunden vorbeigeschaut hätte. Rot Front! Peng! Peng!

Tage später wohnte ich in einer Kneipe zwischen Speckgürtel und Citystrumpf der Übertragung eines Deutschlandspiels bei und erinnerte einen Gast daran, dass er beim Torjubel auch den linken Arm strecken müsse.

Den Viertelfinalklassiker gegen Frankreich erlebte ich mit einigen Freunden und Umzugshelfern in einem angesagten Biergarten. Leider sahen die 222 Eventhopper aus aller Herren Länder nicht nur kurz über den Zaun, ähnlich wie es viele Turbo-Touristen tun, wenn sie Europa in drei Tagen erkunden. Ich hatte nur Winkekatzen und Wackelkopfhunde vor der Nase, die die Dramaturgie eines Spiels nicht zu kapieren schienen. Es ist mit diesen Leuten so, als verabrede man sich zum Tanzengehen, und sie bleiben die ganze Zeit am Tisch sitzen. Und selbst wenn beim Public Viewing etwas Stimmung aufkommt, so fehlt die Kommunikation zwischen Fans und Spielern, wie sie nur im Stadion stattfindet. Vielleicht hätte ich sogar Spaß daran, wenn der Wirt mit der Übertragung eines »Polizeirufs« überrascht. Hauptsache zusammenhocken, das ist schön. Selbst mein Problemkumpel, den es bei derartigen Ausflügen im Auge zu behalten und vor sich selbst zu schützen gilt, machte beim Viertelfinale einen auf Ringelpiez mit Anfassen. Das Finale zwischen Deutschland und Argentinien sah ich vorsichtshalber zu Hause, mit Leuten, die hier polizeilich gemeldet sind. Das war dufte.

Für die aktuelle EM hatte ich mir vorgenommen, mich nicht auf Kneipen oder Biergärten einzulassen. Ich wollte das Achtelfinalspiele gegen die Slowakei auch nicht in der Wohnung eines langjährigen Freundes sehen, denn es sickerte durch, das seine Quatschkopfbrigade dabei sein würde. Doch weil ich einige soziale Kontakte aufrecht erhalten will und muss, lud ich einige Freunde zum Spiel gegen Italien ein. Ich versprach Getränke und Krümelkram, und, dass ich die Fähnchen, die sich über die Jahre angesammelt hatten, rings um den Fernseher drapieren würde. Die erste Absage kam flott. Er mache Urlaub in Italien, von seiner Ex, die noch in seiner Wohnung lebt. Es gibt so schöne Gründe zum Fernbleiben.

Kein Problem, wir sehen uns eher früher als später im Stadion beim Unterklassenfußball oder bei einem Konzert. Gute Freunde kann niemand trennen.

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