Das Frühstück ist ein Start ins Leben

An der August-Bebel-Schule im Leipziger Osten werden Kinder gefördert - im Kopf und auch durch den Magen

  • Heidrun Böger, Leipzig
  • Lesedauer: 5 Min.
Nur 20 Prozent der Grundschüler im Leipziger Osten kommen später an ein Gymnasium, der Durchschnitt liegt bei 50 Prozent. Nun wird einiges unternommen, um dort die Kinder zu fördern.

Ibrahim lässt es sich schmecken. Toast mit Marmelade, die Butter hat er weggelassen. Der 11-Jährige kommt fast jeden Tag zum Frühstück in seine Schule. Es gibt ein kostenloses Buffet mit Milch, Müsli, Obst, Brot, Wurst, Käse, Marmelade.

Warum der Junge, der mit seiner Familie vor zwei Jahren aus Palästina kam, nicht zu Hause frühstückt, bleibt offen. »Für uns spielt das keine Rolle«, sagt Nancy Kallenbach, die Leiterin der August-Bebel-Grundschule im Leipziger Osten. Das Frühstücksangebot gibt es seit etwa fünf Jahren. Es gilt für alle Kinder und ist nicht etwa gebunden an einen Nachweis einer eventuellen Hilfsbedürftigkeit der Eltern.

Bis zu 30 Prozent der Grundschüler in Deutschland sind laut verschiedenen Studien während des Unterrichts hungrig. Sie kommen ohne Frühstück und ohne Pausenbrot in die Schule. Folgen können Konzentrationsmängel und schlechte schulische Leistungen oder auch aggressive Verhaltensmuster sein. Das allmorgendliche Frühstück an der Bebel-Grundschule, das im Schnitt täglich 40 Kinder besuchen, wird finanziert von der Stiftung »Brotzeit«, die von der bekannten Filmschauspielerin Uschi Glas initiiert wurde.

An der August-Bebel-Schule wird das gesunde Frühstück von insgesamt vier Seniorinnen organisiert, darunter Anne Hecht und Petra Lange. Dafür erhalten sie eine Aufwandsentschädigung von 6 Euro pro Stunde. »Besonders beliebt ist die Fleischwurst«, sagen sie. Natürlich auch Schokocreme. Die gebe es aber nur zweimal pro Woche.

Etwa 220 Kinder mit verschiedenen Hintergründen gibt es an der Schule, in einigen Klassen lernen Schüler mit einem erhöhten Förderbedarf. Etwa 50 Kinder besuchen sogenannte DAZ-Klassen für Kinder, die »Deutsch als Zweitsprache« erst einmal erlernen müssen. »Dass diese Kinder nur schwer eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen, ist klar«, sagt die Schulleiterin.

Soziale Faktoren spielen bei den Bildungschancen von Kindern auch in Leipzig eine sehr entscheidende Rolle. Vor allem Kinder aus traditionellen Kleinfamilien und von berufstätigen Eltern machen das Abitur. In dieser Gruppe ist zugleich der Anteil der Kinder, die bezahlte Nachhilfestunden in Anspruch nehmen, besonders hoch. Im Leipziger Osten sind solche Umstände bis jetzt nicht unbedingt die Regel. Hier erhalten nur etwa 20 Prozent der Grundschüler eine Gymnasialempfehlung, während der Landesdurchschnitt bei etwa 50 Prozent liegt.

Doch die Situation verändert sich allmählich. Der Osten Leipzigs ist mittlerweile auch von alternativen, studentischen Wohnprojekten und Kreativen geprägt. In Sachen Stadtentwicklung ist der Bau des Gymnasiums Gorkistraße in Leipzig-Schönefeld ein wichtiger Schritt, sagt Roman Schulz, Pressesprecher Regionalstelle Leipzig der Sächsischen Bildungsagentur. »Wenn so eine Einrichtung vor Ort ist, kann das für die Kinder benachbarter Grundschulen Motivation sein.« Das Gymnasium soll Ende 2016 in Betrieb gehen.

Die Lehrerinnen und Lehrer an der August-Bebel-Grundschule möchten gerade dies befördern. Dass ihre Schule als eine Einrichtung gilt, von der aus es nur wenige Kinder zum Gymnasium schaffen, hat das Lehrerkollektiv getroffen.

An der Schule gibt es daher nicht nur das Frühstück für alle, sondern auch Studentinnen und Studenten, die ehrenamtlich mit in die Klassen gehen und dort den Kindern bei Problemen helfen. Für Schulleiterin Nancy Kallenbach ist das aber nur ein Aspekt bei der Verbesserung der Umstände. »Wir legen auch viel Wert auf gesunde Ernährung und Sport«, sagt sie. Eine stundenweise beschäftigte Ernährungsberaterin bespricht inzwischen sogar mit den Kindern, was zu einem gesunden Frühstück und zu einer allgemein ausgewogenen Ernährung gehört.

Wie an anderen Schulen in Leipzig auch gibt es nachmittags ein umfangreiches Ganztagsangebot von Schach über Malen bis zum Fechten. Und zusätzlich fahren die Kinder im Sommer gemeinsam mit Lehrerinnen und Lehrern ins Ferienlager. Auch gibt es eine Schulsozialarbeiterin, die schon beim Frühstück mit dabei ist. So merkt sie schnell, wenn zu Hause etwas nicht stimmt und erfährt von den konkreten Sorgen der Sechs- bis Elfjährigen. Die Schule hat sich zum Wohngebiet hin geöffnet, es gibt viele Angebote der soziokulturellen Projekte direkt an der Schule, zum Beispiel Tanz am Nachmittag. Die »DAZ-Kinder« gehen alle zwei Wochen ins Kinder- und Jugendkulturzentrum O.S.K.A.R. zum Modellbau.

»Wir wollen die soziale Kompetenz der Kinder fördern. Sie sollen gestärkt ins Leben gehen«, umreißt Kallenbach das Ziel all dieser Maßnahmen. Dazu gehöre eine möglichst optimale Förderung jedes Kindes durch individuelle Betreuung. Auch wenn ihnen dabei klar ist, dass auch das nicht unbedingt zum Einserabitur führen wird.

Das sieht auch Pressesprecher Roman Schulz so: »Natürlich fördern wir die Schulen im Leipziger Osten im besonderen Maße. Die Betreuung an der August-Bebel-Schule durch Studenten zum Beispiel ist eine der Initiativen.« Aber auch für Schulz ist nicht unbedingt entscheidend, dass möglichst viele Kinder Abitur machen, »sondern überhaupt einen Abschluss, im Idealfall einen guten in der 10. Klasse.« Gute mittlere Bildungsabschlüsse seien für eine duale Berufsausbildung nicht zu verachten, sagt er. Und: »Es sollten ja auch nicht alle studieren.«

Nach wie vor verlassen viel zu viele Kinder in Leipzig die Schule ganz ohne Abschluss. Bei Elternhäusern, in denen Bildung oftmals keine große Rolle spielt, sind Lehrerinnen und Lehrer gefragt, die Kinder in besonderem Maße fördern - durch den Kopf wie durch den Magen.

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