Farage drückt sich wieder einmal

UKIP-Chef tritt zurück / Aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge ist Paul Nuttall

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Der anti-europäische Krawallmacher Nigel Farage ist nach seinem größten politischen Triumph - der Brexit-Entscheidung - als Führer der UKIP zurückgetreten. Zum dritten Mal.

Der Vorsitzende der United Kingdom Independence Party (UKIP), Nigel Farage, sieht sich am Ziel seiner Wünsche und gibt den Parteivorsitz ab. »Ich habe bei der Volksabstimmung gesagt, ich wollte mein Land zurückhaben. Jetzt will ich mein Leben zurück«, tönte der frühere Rohstoffhändler Farage selbstlos wie eh und je am Montag.

Ein polnisches Kulturzentrum in London und ein Denkmal für den Labour-Politiker Michael Foot in Plymouth durch Neonazi-Schmierereien beschädigt, Schulkinder bedroht, britische Moslems auf offener Straße beschimpft: Alles nach dem Tag der Brexit-Abstimmung geschehen. Tritt Farage etwa aus Scham über die Handlungen der eigenen fremdenfeindlichen Anhänger zurück? Nein, er geht stolzerhobenen Hauptes - und lässt anderen die Suppe auslöffeln, die er ihnen eingebrockt hat.

Der 52-Jährige war zwischen 2006 und 2009, dann wieder von 2010 bis zur Parlamentswahl 2015 Chef der EU-feindlichen UKIP - und damit in den Medien permanent präsent. Zwischendurch trat er mal zurück, weil seine Unterhauskandidaturen sieben Mal scheiterten. Das britische Mehrheitswahlrecht sowie seine Abneigung gegen politische Kärrnerarbeit waren für die jeweiligen Karriereknicke verantwortlich. Allerdings verhalf ihm das Verhältniswahlrecht zu einem Mandat im Europaparlament (EP), wo er fleißig seine Diäten kassierte, sich in den Fischerei-Ausschuss wählen ließ, aber in zwei Legislaturperioden nur an einer Ausschusssitzung teilnahm. Die Arbeit machten andere. Für Krawalle wie vorige Woche war Farage aber oft zu haben: »Ihr habt im Leben nie richtig gearbeitet«, herrschte er seine EP-Kollegen an. »Warum sind Sie noch hier?«, fragte ihn Jean-Claude Juncker milde.

Wieder einmal drückt sich Farage vor der eigentlichen Arbeit. Die britischen Austrittsbedingungen müssen noch ausgehandelt werden - Binnenmarkt-Teilnahme oder Migrationskontrollen für EU-Angehörige? Beides zu erreichen dürfte nicht leicht fallen. Was ist mit dem Status von EU-Bürgern, die schon in Britannien leben? Oder von Briten in Berlin oder Barcelona? Mit dem fallenden Pfund, dem möglichen Wirtschaftschaos und dem erwarteten Anstieg der Arbeitslosigkeit? Wen möchte UKIP als neuen Chef der Konservativen sehen? Der sonst redselige Farage hüllte sich in Schweigen. »Wenn die Regierung in den Verhandlungen zu sehr kneift und Labour von ihren Anhängern meilenweit entfernt bleibt, stehen UKIP noch bessere Tage bevor.« Ein Trost für seine verbliebenen Freunde: Im EP möchte er bis zum britischen Austritt bleiben. Auf den dortigen Anwesenheitslisten soll er von 751 Abgeordneten an der Stelle 747 stehen.

UKIPs einziger Unterhausabgeordnete, Douglas Carswell, will nicht für den verwaisten Chefsessel kandidieren, er ist eher schrulliger Einzelgänger als Führernatur. Farages ehemalige Stellvertreterin und Verfasserin des Wahlmanifests 2015, Suzanne Evans, möchte gern, darf aber wegen Streits mit Farage nicht. Als wahrscheinlichster Nachfolger wird in der Zeitung »Independent« der nordenglische Europa-Abgeordnete Paul Nuttall gehandelt. Er wird als integrierende Figur und Gefahr für Labour-Hochburgen in der Region betrachtet, die sich für den Brexit erklärt haben. Andere potenzielle Nachfolger sind die EP-Mitglieder Diane James und Migrationssprecher Steven Woolfe.

Es sei denn, Farage besinnt sich wieder einmal neu und erklärt noch einmal den Rücktritt vom Rücktritt.

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