Bei Nacht und Nebel abgeschoben
Ungarns verschärfter Flüchtlingskurs macht auch dem Nachbarland Serbien zu schaffen
Mehr Knüppelschläge, Hundebisse und Pfefferspray: Ungarns seit Wochenbeginn verschärftes Grenzregime bekommen die Flüchtlinge, die von Serbien aus nach Norden drängen, bereits schmerzhaft zu spüren. »Die ungarischen Grenzer besprühten uns mit stechendem Gas, schrien uns an und schlugen uns«, erzählt im serbischen Fernsehen ein afghanischer Flüchtling, der vergeblich versuchte, die abgezäunte Grenze bei Horgos illegal zu überqueren.
Die serbischen Medien berichten derweil von einem neuen Rückstau auf der Balkanroute. Nicht nur im Niemandsland am Grenzübergang von Horgos, sondern auch in dem völlig überfüllten Flüchtlingslager im nordserbischen Subotica und in den Parks um den Belgrader Busbahnhof mehrt sich täglich die Zahl der Menschen, die an der Grenze zu Ungarn abgedrängt, zurückgeprügelt oder abgeschoben wurden.
Tagsüber zeigen Ungarns Grenztruppen an der EU-Außengrenze zu Serbien seit Wochenbeginn mit vermehrten Patrouillen und knatternden Helikoptern verstärkte Präsenz. Nachts werden Flüchtlinge am vor Jahresfrist errichten Grenzzaun nicht nur noch resoluter zurückgeprügelt, sondern bei Festnahme im Inland ohne Federlesen und Verfahren umgehend und im Schutz der Dunkelheit wieder abgeschoben. Da sich Serbien seit dem abgelehnten Bau des Grenzzauns resolut weigert, in Ungarn aufgefasste Flüchtlinge wieder zurückzunehmen, laden die ungarischen Grenzer die unerwünschten Migranten nun eben ohne Zustimmung der Nachbarn nachts hinter dem Zaum im Niemandsland ab.
Über 23 000 Menschen haben seit Jahresbeginn trotz Grenzzauns und des vermeintlichen Abriegelns der Balkanroute in Ungarn einen Asylantrag gestellt: Die Dunkelziffer derer, die bisher in diesem Jahr durch Ungarn in Richtung Westeuropa zogen, wird von serbischen Flüchtlingshilfe-Organisationen auf das Drei- bis Vierfache geschätzt. Zwar werden fast alle Asylanträge von Ungarns unwilligen Behörden abgelehnt. Doch selbst die in Schnellverfahren verhängten Abschiebe-Bescheide hatten bisher wegen der serbischen Rücknahmeverweigerung keinerlei Wirkung: Sobald die abgelehnten Asylbewerber von geschlossenen in offene Lager verlegt wurden, setzten sie ihren Weg nach Mitteleuropa fort.
»Tiefer Grenzschutz« nennt sich Ungarns neue, seit Wochenbeginn angewandte Strategie, um die Zahl der ungewünschten Grenzgänger zu mindern. Illegale Einwanderer, die die Grenzpolizei in einer Distanz von acht Kilometer zur Landesgrenze auffasst, werden nun umgehend zu den Grenzübergängen »zurückbegleitet«, wo ihnen laut Regierungsangaben »der Weg zur nächsten Transitzone« gezeigt wird. Faktisch werden aufgefasste Flüchtlinge ins Nachbarland abgedrängt. Doch davon wollen ungarische Regierungssprecher nicht reden, da sich der Grenzzaun nicht direkt an, sondern ein paar Meter hinter der Staatsgrenze befinde.
Laut ungarischen Statistiken werden nun in jeder Nacht 150 bis 200 Immigranten »zurückgeführt«, während bis zu 1000 illegale Grenzübergänge täglich »verhindert« würden. Serbiens Fernsehsender RTS befürchtet bereits das Entstehen eines »neuen Idomeni«. Während Budapest beteuert, dass das veränderte Grenzregime wegen des erwarteten Abschreckungseffekts auch den Immigrationsdruck auf Serbien mindern werde, zeigt sich Belgrad über die Nachbarn kräftig verärgert.
Als unseriöse »Kinderspiele« bezeichnet Premier Aleksander Vucic erbost die nächtlichen Abschiebemanöver. Serbien lasse sich »nicht zum Parkplatz für Migranten« machen, wettert verärgert Sozialminister Aleksander Vulin.
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