Forschung an Dementen bleibt Streitfall
Gesetzesänderung zu Medikamententests wurde erneut verschoben
Forschung an Demenzkranken ist ein heikles Thema. Die Bedingungen dafür sollen in einem Gesetz geregelt werden. Doch heftige Kritik von vielen Seiten, darunter aus allen Bundestagsfraktionen, hat zur erneuten Verschiebung des Vorhabens im Bundestag geführt. Die jetzt auf den Herbst verschobene Lesung des »Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften« soll eine EU-Verordnung in nationales Recht überführen. Dabei geht es um einen einheitlichen Rechtsrahmen für klinische Prüfungen von Humanarzneimitteln. Ein Ende 2015 vorgestellter Referentenentwurf hatte sogenannte gruppennützige Studien an Nichteinwilligungsfähigen noch ausgeschlossen. Derartige nationale Verbote werden in der EU-Verordnung weiterhin für zulässig erklärt.
Als nichteinwilligungsfähig gelten in diesem Zusammenhang psychisch Erkrankte, Kinder oder geistig Behinderte. Seit 2004 ist Forschung an ihnen in der Bundesrepublik unter strengsten Bedingungen zugelassen. Sie muss für den Einzelnen einen direkten, individuellen Nutzen haben, der Risiken und Belastungen überwiegt - und dafür müssen wissenschaftliche Gründe vorliegen.
Der Widerstand gegen die jetzt geplante Veränderung ist deshalb so groß, weil befürchtet wird, dass die Bedingungen weiter aufgeweicht werden könnten. Nach dem Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) soll gruppennützige Forschung u. a. an demenziell Erkrankten erlaubt werden, auch wenn diese ihnen individuell nicht mehr hilft, sondern nur der abstrakten Gesamtgruppe dieser Patienten in Zukunft. Gröhes Bedingung: Die heute noch Gesunden müssten ihr Einverständnis zu späteren Studien vorab erklären. Das könnte in der Patientenverfügung oder einer Regelung analog zum Organspendeausweis beurkundet werden.
Schon zu der Bedingung gibt es heftigen Widerspruch. Weder die künftigen Probanden noch Ärzte könnten heute wissen, mit welchen Problemen und Risiken künftige Tests verbunden sind. Eine Beratung vorab ist nicht möglich. Die Einwilligung soll blanko gegeben werden. Im Unterschied zu einer Organspende oder einer Körperspende an die Wissenschaft nach dem eigenen Tod sind die Betroffenen dann noch am Leben, möglicherweise als verwirrte oder verängstigte Demenzkranke. Es dürfte wenige Menschen geben, die sich in dieser Situation noch zusätzlichen Klinikaufenthalten, Untersuchungen oder Nebenwirkungen der Testmedikamente aussetzen wollen. Strikt abgelehnt wird von vielen Kritikern die stellvertretende Entscheidung durch Betreuer und andere Personen.
Gegen den Gesetzentwurf wandte sich auch eine Petition von Mitgliedern der Ethik-Kommission des Landes Berlin. Sie betont, dass es gar keine Notwendigkeit gebe, das bisherige Forschungsverbot aufzuheben. Diese Position vertritt ebenfalls der Verband forschender Pharmaunternehmen. Auch ein fraktionsübergreifender Änderungsantrag im Bundestag argumentiert so. Initiiert wurde der Antrag von der Grünen Kordula Schulz-Asche; die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), Uwe Schummer (CDU) und Kathrin Vogler (LINKE) ziehen mit.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.