Beruf: Kackbratze

Comedystar Cindy aus Marzahn hört auf - aus interessantem Grund

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 4 Min.
Unter dem Schleier der Selbstironie kultivierte Cindy aus Marzahn (Ilka Bessin) jahrelang Klischees über die »Unterschicht«. Jetzt hängt Bessin die Perücke an den Nagel – die Figur sei »zu politisch« geworden.

Zufall kann es nicht gewesen sein, dass Cindy aus Marzahn ausgerechnet 2005 das Jahresfinale der Talentschmiede im »Quatsch Comedy Club« gewann. Damals trat die »Agenda 2010« in Kraft, mit der die rot-grüne Bundesregierung und die schwarz-gelbe Opposition den Sozialstaat gemeinschaftlich mit neoliberalem Furor in Schutt und Asche legten. Parallel begann eine medienwirksame Unterschichtendebatte, in der Menschen im dauerhaften Hartz-IV-Bezug pauschal als grenzdebile, sich durchs Leben schmarotzende und diese Gesellschaft zugrunde richtende Parasiten an den Pranger gestellt wurden.

Mit ihrer Inkarnation der »Unterschicht« kam die aus Luckenwalde stammende Ilka Bessin also genau zur rechten Zeit: Elf Jahre lang trat sie in quotenträchtigen Fernsehsendungen auf und unterhielt in großen Hallen ihr begeistertes Publikum. Mit Lockenmähnenperücke und im pinkfarbenen Jogginganzug war sich die betont dilettantisch geschminkte und ihr Körpergewicht ostentativ unvorteilhaft präsentierende Kunstfigur aus dem Berliner »Problembezirk« für keinen diskriminierenden Gag auf Kosten der Schwächsten zu schade.

Ihr Gespür für hegemoniale Zuschreibungen derer »da unten« ließ sie selten im Stich: Unter dem Schleier der Selbstironie wärmte sie allerlei Klischees auf. Da wäre etwa das von den schlechten Unterschichtseltern (»Meine Mutter hatte ja eine sehr schwere Kindheit, nämlich meine«), das von der fresssüchtigen Kackbratze (»Ich hab Alzheimer-Bulimie - erst esse ich alles, dann vergesse ich zu kotzen!«), das vom amourösen Klassengeschmack des Pöbels (»Enrico war wirklich ein absoluter Traummann. 1,48 Meter groß, 170 Kilo schwer, braun gebrannt. Kein Hals, keine Haare und kein Gehirn«) und natürlich das von den dekadenten Faulenzern (»Warum ich keine Arbeit habe? Ich seh einfach zu gut aus«).

Im Interview mit dem »Spiegel« teilte Ilka Bessin jetzt mit, sie werde die Perücke sofort an den Nagel hängen. Wenn Cindy sich politisch geäußert habe, sei das nicht immer gut angekommen: »Als ich bei einem Auftritt in Potsdam sagte, dass gerade wir Ossis mit unserer Geschichte besonders freundlich sein sollten zu Flüchtlingen, hat ein Einziger im Saal geklatscht.« Die Figur dürfe »nicht zu politisch werden. Sie ist einfach gestrickt, schaut gern ›Germany’s Next Topmodel‹ und ›Supertalent‹ und wäre gern eine Prinzessin. So ist sie.«

Eine interessante Begründung. Vor allem, was Bessins Begriff des Politischen angeht, denn inmitten des sich für die Betroffenen ökonomisch auswirkenden Unterschichtenbashings kann Cindy nicht unpolitisch sein. Wenn Bessin in den vergangenen Jahren jenseits ihrer Rolle auftrat, dann klang sie dagegen wie eine blond-weiße Variante von Angela Davis.

Da wurden Statements von ihr bekannt, die dem durch Cindy kultivierten Bild von der Armut in Deutschland eklatant widersprechen. »Mit Arbeitslosen wird oft umgegangen, als hätten sie eine ansteckende Krankheit«, kritisierte sie einmal treffend. Auch die Grundsicherung erschien ihr zu gering bemessen: »Hartz IV reicht, um zu überleben. Aber es reicht nicht, um etwas zu erleben. Wer keinen Job hat, möchte trotzdem mal ins Kino oder zum Billardspielen.« Und sie setzte sich (siehe Foto) auch an die Supermarktkasse und beteiligte sich an Charity-Aktionen.

Ilka Bessin wusste, wovon sie sprach, denn sie entstammt »einfachen Verhältnissen« und war vor ihrem Durchbruch als Comedian jahrelang erwerbslos. Vermutlich unterschätzte sie die Wirkung ihrer Cindy und bemerkte nicht, dass ein Gutteil des Publikums sich nicht nur über deren schlechte Scherze amüsierte, sondern sie als klassenpolitisches Symbol auslachte. 2010, auf dem Höhepunkt der Cindy-Popularität, entfuhr Bessin allen Ernstes dieser Satz: »Ich fände es schlimm, wenn Leute auf einem so hohen Ross säßen, dass sie auf Cindy herabblickten.«

Womöglich ist die Begründung für den Abschied der Prekariatskomödiantin von der Bühne also nur vorgeschoben. Insbesondere, nachdem sie 2012 zur Assistenzmoderatorin von Markus Lanz bei »Wetten, dass ...« aufgestiegen war und die »New York Times« sie als »Princess of Plattenbau« porträtierte, könnte ihr im Fokus eines Millionenpublikums doch noch gedämmert haben, dass sie durch ihre Klischeejonglage den Klassenhass anheizte. 2014 lehnte sie es ab, zum 35. Geburtstag des Bezirks nach Berlin-Marzahn zu kommen. Sicher ahnte sie, dass die Menschen mit ihr noch ein Hühnchen zu rupfen hatten.

Nach ihrem Ende im Showbusiness will Bessin nun »Mode für Mollige« machen. Ein Feld, auf dem ihr ein besseres Gespür für soziale Diskriminierung zu wünschen wäre.

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