Urdemokratisches Vergnügen
Die Max-Liebermann-Villa widmet sich einem Lebensthema des Künstlers: Biergärten und Caféterrassen
Das Motiv des Gartenlokals begleitete Max Liebermann kontinuierlich in höchst verschiedenen Interpretationen bis in sein Spätwerk. Zum zehnjährigen Jubiläum des Museums der Liebermann-Villa am Wannsee greift das nach wie vor beim Publikum populäre Haus mit der Ausstellung »Max Liebermann - Biergärten und Caféterrassen« diesen Schaffensaspekt des bekanntesten und wohl auch bedeutendsten Malers im Berlin der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus.
Liebermann entdeckte das Motiv des Biergartens 1879 bei einem Studienaufenthalt in Etzenhausen bei Dachau, rund 20 Kilometer von München entfernt. Es fällt auf, dass er sich seit seiner Übersiedelung nach München zunehmend für Sujets interessierte, die Figurengruppen im Freien thematisieren. Zuvor hatte er während seiner Pariser Jahre die realistische Malerei eines Gustave Courbet besonders schätzen gelernt, vor allem aber die Plein-air-Malerei der Schule von Barbizon. Diese einte keine gemeinsame Ästhetik, sondern vielmehr die Ablehnung der akademische Lehre zugunsten eines unmittelbaren Zugangs zur Natur.
In seinem kleinformatigen »Biergarten in Etzenhausen« (1879) entwickelt Liebermann die Szenerie aus vertikalen Baumstämmen, diagonal gereihten Bierbänken und Baumkronen, die sich horizontal über die Szenerie wölben. Allerdings bedarf es einiger Anstrengung, um überhaupt herauszufinden, was im Bild eigentlich vor sich geht. Präsentiert sich doch dieses Gemälde in einem Galerieton, erscheint wie mit brauner Soße übergossen. Liebermann verzichtet auf starke Kontraste: So gibt es weder ein ausgeprägtes Hell-Dunkel noch Farbakzente. Die Sicht wird unscharf. Das dämmrige und Flaue der Schatten gewinnt die Oberhand - und suggeriert so die tatsächliche Wirkung des geselligen Biergenusses, während sich die Gäste in den hinteren Reihen etwas dichter drängen.
Wie anders gestaltet sich da der nur wenig später gemalte »Kinderspielplatz im Münchner Hofgarten« (1884). Die Farbpalette hat sich sichtlich gelichtet. Frauen und spielende Kinder genießen den Schatten unter den Bäumen, welche Sonnenflecken produzieren, die etwa die helle Bekleidung samt der pastellfarbenen Schleifen und Rüschen des am Boden spielenden Nachwuchses unterstreichen. Die damit kontrastierende einfache dunkle Bekleidung der Frauen lässt darauf schließen, dass es sich bei ihnen um Hausangestellte oder Kindermädchen handelt. Nur zwei der Frauen tragen Hüte, was sie als Mütter aus dem Bürgertum ausweisen könnte.
Die soziale Komponente ist neben der deutlichen Aufhellung der größte Kontrast zum Etzenhausener Kleinformat: Der Biergarten richtet im Hofgarten-Gemälde den Blick nicht mehr auf die bäuerliche Kundschaft, die sich an roh gezimmerten Bänken und Tischen ein kühles Blondes genehmigte. Stattdessen hielten nun bürgerliche Tagesausflügler Einzug in den durch einen Musikpavillon im Hintergrund nobilitierte Umgebung, in der eine Blaskapelle aufspielt. Das Spiel der im Vordergrund auf dem Boden krabbelnden Kinder wird akzentuiert durch die Sonnenflecken, welche sich den mächtigen Baumkronen verdanken - ein Seh-Eindruck, der Liebermann die Tür zur impressionistischen Lichtmalerei öffnete.
»On revient toujours à ses premiers amours«, schreibt Liebermann 1893 an Alfred Lichtwark, den Direktor der Hamburger Kunsthalle. Und so illustrieren 73 Gemälde, 23 Pastelle und 50 Schwarz-Weiß-Zeichnungen, dass der Maler immer wieder auf dasselbe Motiv zurückkommt: das Gartenlokal. Dieses Motiv steht in einer langen Tradition, die auf die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts zurückzuführen ist. Es ist gut denkbar, dass Liebermann sich von einem seit 1830 in Berlin befindlichen Gemälde dazu inspirieren ließ: nämlich dem »Wirtshausgarten« von Jan Steen (um 1660).
Freilich verschiebt sich bald Liebermanns Fokus vom zünftigen Bierseidelstemmen auf das kultivierte »dolce far niente« der bürgerlichen Gesellschaft. Dies betont er 1900 in seinem »Biergarten in Leiden« durch einen Musikpavillon sowie die bepflanzte Schale. Demonstrativ sind die leeren Stühle im Vordergrund zurückgelehnt, um damit auf ihren eigentlichen Zweck hinzuweisen: Sitzgelegenheit für Mußestunden zu sein. Tatsächlich handelt es sich beim Freizeitvergnügen des Biergartenbesuchs um ein urdemokratisches Vergnügen: Seitdem vor über 200 Jahren der bayrische König Max I. dem Biergarten sein Plazet gab, dürfen Bürger jedweden Standes ihre mitgebrachten Speisen zum ausgeschenkten Bier zu verzehren.
Liebermann freilich ging es mehr um koloristische Werte. So fällt beim Leidener Biergarten auf, dass er das Licht stärker kontrastiert als in seinen früheren Darstellungen. Statt der schüchternen hellen Farbflecken tritt nun eine leuchtend goldene Fläche ins Bildzentrum, welche die Hitze des Tages unterstreicht - und die Kühle des Schattens umso wohltuender erscheinen lässt. In der Ansicht des populären Biergartens »De Ooude Vink«/»Der alte Fink« (1905) am Leidener Stadtrand sind die Besucher allenfalls skizzenhaft angetupft.
Als er sich sechs Jahre später erneut diesem Sujet widmet, gewährt er der bewegten Wasseroberfläche eine tragende Rolle. Hier könnte eine von drei Versionen von Renoirs berühmter »La Grenouillere«, der »Froschinsel« (1869), Pate gestanden haben, die ab 1909 in Berlin bei dem Kunsthändler und Freund Paul Cassirer zu sehen war. Die in diesem Kontext geschaffenen Zeichnungen und Pastelle zeigen deutlich, wie Liebermanns Blick vom Land auf das Wasser schwenkt. Dick, ja geradezu grob trägt der Maler die Farbe auf, um den Eindruck ständiger Bewegung in den Bäumen, auf der Wasseroberfläche und nicht zuletzt bei den lebhaften Gästen zu illustrieren.
Es handelt sich hierbei um eines der letzten holländischen Gemälde Liebermanns, waren ihm doch nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs die geliebten Sommeraufenthalte an der Nordsee nicht mehr möglich. Ab dem Sommer 1914 verbringt er die heiße Jahreszeit stets in seiner 1910 fertiggestellten Villa am Wannsee. Neben seinem geliebten »Klein-Versailles« hält er die zahlreichen Freiluft-Lokalitäten in der Nachbarschaft auf der Leinwand fest, die teilweise bis heute existieren. Der betont lockere, oft pastose Pinselduktus entspricht der entspannten Atmosphäre der Sujets um den Kaiserpavillon, den Schwedischen Pavillon oder das nach wie vor populäre Wirtshaus Nikolskoe, das Friedrich Wilhelm III. einem einfachen Blockhaus in St. Petersburg nachempfand.
Nicht nur werden die Sommerkleider immer farbiger und die Röcke gemäß der Twenties-Mode immer kürzer. Auch weicht das silbrig-klare Licht der Gartenlokale nun einem goldenen diffusen Glast. »Die Lichtflecke in diesen Bildern sind nicht Farbflecke, sie sind gemaltes Licht, flimmernde Luft«, bringt es der Freund und Liebermann-Biograph Hans Oswald auf den Punkt.
Mit dem Bau der Wannsee-Bahn im Jahre 1874 hatte der Wannsee-Tourismus enormen Aufschwung genommen. Der 1929 von Robert Siodmak nach dem Buch von Billy Wilder gedrehte Stummfilm »Menschen am Sonntag« gibt ein plastisches Bild von den Massen, die am Wochenende wie Heuschrecken in den Villenort einfielen.
Bis 12. September, Liebermann-Villa am Wannsee. Katalog 16,80 Euro.
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