Kläger wird zum Beklagten
Vorwurf gegen Türsteher / Anti-Rassismus-Organisation spricht von »Täter-Opfer-Umkehr«
Am Freitagvormittag wartet die Gruppe von Prozessbeobachtern vor einem kleinen Verhandlungssaal des Amtsgerichts Tiergarten: Ein Kamerateam der ARD, zwei Journalisten, Biplab Basu von der »Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt« (KOP) und zwei Bloggerinnen von »rassismusundjustiz.noblogs.org« interessieren sich für das Verfahren gegen Abdu A. Der Fall hatte bereits vor dem Prozesstermin für Aufsehen gesorgt: Abdu A. sagte aus, im Oktober vergangenen Jahres von einem Türsteher des »Kumpelnest 3000« im Bezirk Tiergarten geschlagen und rassistisch diskriminiert worden zu sein. Das Verfahren wurde allerdings im März dieses Jahres eingestellt.
Am Freitag stand Abdu A. dann selbst als Angeklagter vor Gericht. Der Türsteher hatte ihn angezeigt, er soll ihn mit Steinen beworfen haben. Die KOP sprach daraufhin von einer »unzulässigen Täter-Opfer-Umkehr« und rief unter dem Motto »Gegen rassistische Türpolitik und die Kriminalisierung des Abdu A.« zur Prozessbeobachtung auf.
Laut Gerichtsakte zeigten die Aufnahmen einer Körperkamera eines anderen Türstehers »keine strafbaren Handlungen«. Doch die entsprechende DVD befand sich bereits vor der Verhandlung nicht mehr in den Akten. Lukas Theune, der Anwalt des Angeklagten, hatte daraufhin einen Antrag ans Gericht gestellt, die Hauptverhandlung erst stattfinden zu lassen, wenn er die Filmaufnahmen hat sichten können. Der Antrag wurde abgelehnt. Nach Angaben von Theune sagte ihm der Richter, das Video habe keine Verfahrensrelevanz.
Das sieht der Anwalt anders. Nach der Auseinandersetzung hatte sein Mandant die Polizei gerufen. Die hatte Theune zufolge »Blutanhaftungen« im Gesicht von Abdu A. festgestellt.
Grund für den Streit war eine mögliche rassistische Türpolitik des Clubs. Laut KOP hatte der Türsteher »wie immer, wenn genügend weiße Gäste in der Lokalität waren, auf Anweisung seiner Geschäftsleitung keine People of Color in die Bar« gelassen, heißt es in einer Mitteilung der KOP. »Ihr wisst doch, wie es läuft, ihr könnt ein andermal kommen«, soll er gesagt haben. »Eine Anweisung der Geschäftsleitung, dass farbige Menschen in der Bar nicht erwünscht sind, gibt es nicht und gab niemals«, erklärte ein Mitarbeiter des »Kumpelnest 3000« schriftlich dem »nd«. Zudem habe die Bar auch zwei »farbige« Mitarbeiter.
Wegen der fehlenden DVD stellte der Verteidiger Theune nun zu Beginn des Verfahrens einen Befangenheitsantrag. Bevor er seine Begründung verlesen konnte, unterbrach ihn der Richter. »Sie dürfen hier nicht mitschreiben«, sagte er Richtung Zuhörerbereich. Basu wies den Richter auf ein Urteil hin, das das Mitschreiben erlaube. Der Richter unterbrach die Verhandlung und sprach mit dem ARD-Reporterteam, das vor der Verhandlung Filmaufnahmen gemacht hatte. Sie sollten gelöscht werden; das Fernsehteam kam dieser Aufforderung nicht nach.
Zurück im Gerichtssaal, verkündete der Richter: »Das Urteil war mir nicht bekannt. Eventuell ist es mir auch entfallen. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie mitschreiben.« Nach nochmaligem Versuch des Richters, das Verfahren zu eröffnen, verlas der Verteidiger erneut den Befangenheitsantrag. »Was soll’s«, kommentierte der Richter.
Die Hauptverhandlung wurde ausgesetzt, da »unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung der Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden gestellt wurde«. Ein Richterkollege wird nun über diesen entscheiden.
Zwei Zeugen - der angeblich geschädigte Türsteher und sein Kollege - waren erst gar nicht erschienen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.