Corbyn oder Eagle - Labour hat die Wahl
Britische Sozialdemokraten bestimmen Vorsitz neu / Regierung lehnt zweites Brexit-Referendum ab
Jeremy Corbyn wird nicht besonders überrascht gewesen sein über diese Nachricht - enttäuscht über seine Parteifreundin Angela Eagle, die ihm nun den Labour-Vorsitz streitig machen will, war der 67-Jährige aber dennoch. Seit dem Brexit-Referendum steht der linke Abgeordnete unter heftigem Beschuss aus den eigenen Reihen. Ihm wurde vorgeworfen, nicht ausreichend für den EU-Verbleib Großbritanniens geworben zu haben, auch sei er nicht der geeignete Spitzenmann für die wohl kommenden Neuwahlen.
Auf dem linken Flügel von Labour war hingegen von einer Volte die Rede, die auf den Kurs der Partei abziele. Unter Corbyn, der erst im September 2015 mit breiter Mehrheit von der Basis gewählt worden war, waren nicht nur Abertausende Mitglieder gewonnen worden, es wurde auch eine Kurskorrektur eingeleitet - weg von dem Kurs der Tony-Blair-Jahre. Doch Eagle wird selbst eher zum linken Flügel der Partei gerechnet, sie hatte allerdings zum Beispiel für den Irakkrieg gestimmt. Nach einem gescheiterten Schlichtungsverfahren kündigte die 55-jährige Ex-Gewerkschafterin an, am Montag offiziell ihre Bewerbung um den Parteivorsitz einzureichen. Der Labour-nahe »Daily Mirror« kommentierte die Ankündigung mit den Worten, Eagle werde nun wohl als »Kandidatin der Einheit« angesehen, »jemand, der die Basis, die Abgeordneten und die Führung der Labour-Partei nach der Krise einen kann«.
Das bleibt abzuwarten, zumal bereits ein Streit darüber begonnen hat, ob Corbyn für eine Wiederkandidatur die Zustimmung der Abgeordneten braucht. Herausforderer des Vorsitzenden benötigen über 50 Stimmen der Parlamentarier, es ist nicht ausgemacht, dass Corbyn diese Anzahl erreicht. Bei einer Misstrauensabstimmung nach dem Referendum votierten nur 40 Labour-Abgeordnete für ihn - aber 172 gegen ihn.
Corbyn erklärte, ein Vorsitzender könne auch so antreten - und er hat dabei die Unterstützung starker Gewerkschaften. Der Vorsitzende der größten britischen Gewerkschaft Unite, Len McCluskey, warnte bereits, es werde zu einer »dauerhaften Spaltung« von Labour führen, wenn Corbyn daran gehindert werden sollte, wieder anzutreten. Wie ernst die Lage eingeschätzt wird, vermag die Ankündigung des walisischen Abgeordnete Owen Smith illustrieren, der sich »so schnell wie möglich« mit Corbyn treffen will, um alle Mittel zur »Rettung der Partei« auszuloten.
Corbyn selbst, der stets auf die große, fast zwei Drittel umfassende Unterstützung der Basis bei seiner Wahl vor zehn Monaten verwies, reagierte auf Eagles bereits vor einigen Tagen erwartete Kandidatur-Ankündigung übrigens gelassen: »Echter Druck ist, wenn man nicht genug Geld hat, um seine Kinder zu ernähren, wenn man kein Dach über dem Kopf hat«, sagte er bei einem Gewerkschaftsfest. Sollte sich Eagle durchsetzen, wäre sie die erste bekennende Homosexuelle an der Spitze einer großen britischen Partei. Auch die Mitglieder der Konservativen können bald ihren neuen Chef wählen - es wird in jedem Fall eine Frau. Innenministerin Theresa May und Energie-Staatssekretärin Andrea Leadsom gehen ins Rennen um die Nachfolge von David Cameron.
Dessen Regierung hat unterdessen eine neuerliche Abstimmung über den EU-Verbleib Großbritanniens kategorisch ausgeschlossen. Die über vier Millionen Unterzeichner einer entsprechenden Petition erhielten am Wochenende die Absage per E-Mail. Auch wenn die Echtheit eines kleinen Teils der Unterschriften unter der Petition angezweifelt wurde, ist der Wunsch nach einem neuen Brexit-Referendum groß - in der Hoffnung vieler, es werde anders ausgehen. Eine Mehrheit für eine Wiederholung gibt es aber laut einer aktuellen Umfrage nicht. Laut Zahlen für den »Independent« sprechen sich derzeit 40 Prozent der Briten für eine neue Volksabstimmung aus, 44 Prozent sind dagegen. mit Agenturen
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