Am Anfang der Aufholjagd

Studie: Arbeitskosten in Deutschland steigen, sind im EU-Vergleich aber noch zu niedrig

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
In der neuen Auswertung zu Lohn- und Arbeitskosten kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung zu dem Schluss, dass in Deutschland höhere Löhne gezahlt werden müssen.

Die Entwicklung gehe seit einigen Jahren in die richtige Richtung, doch Deutschland muss noch einiges tun, um im EU-Vergleich aufzuholen. Das ist im Wesentlichen das Fazit der jüngsten Untersuchung zur Entwicklung der Lohn- und Arbeitskosten. Die Ergebnisse der jährlichen Auswertung stellten die WissenschaftlerInnen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Montag in Berlin vor.

Die Bundesrepublik habe Ende des Jahres 2015 unverändert auf Platz acht unter den EU-Mitgliedsstaaten gelegen und damit im Mittelfeld der westeuropäischen Staaten. »Mit nominal 2,7 Prozent lag der Zuwachs der deutschen Arbeitskosten 2015 oberhalb des Durchschnitts von EU (2,2 Prozent) und über dem sehr niedrigen Mittel des Euroraums (1,6 Prozent)«, heißt es in der Pressemitteilung. Bei den Lohnkosten liege Deutschland damit weiter – trotz einer günstigeren Lohnentwicklung als in den letzten Jahren – zurück. Die Lohnstückkosten liegen gar zwölf Prozent unterhalb des Durchschnitts im Euroraum.

»Die Lohnentwicklung ist in diesem Jahr nicht ohne Grund in die Debatte geraten«, sagte Gustav A. Horn, der wissenschaftliche Direktor des IMK. Die Gründe für diese Aufmerksamkeit seien neben der Wachstumsschwäche in den Schwellenländern, der Krise im Euroraum und dem bevorstehenden Ausstieg Großbritanniens aus der EU auch die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes zum 1. Januar 2015, so Horn weiter.

»Nachdem sich die deutschen Arbeitskosten in der Privatwirtschaft in den gesamten 2000er Jahren deutlich geringer als der EU-Durchschnitt entwickelt haben, scheint sich die Entwicklung seit 2011 in Deutschland langsam zu normalisieren«, schreiben die AutorInnen der Untersuchung. Und das ist auch wichtig: Dieser Normalisierung sei es zu verdanken, »dass die deutsche Wirtschaft in einem schwierigen internationalen Umfeld noch ganz passabel wächst«, sagte Horn.

Zur Erklärung: Wenn die Lohnstückkosten, also der Teil der Produktionskosten pro Einheit, der auf das Personal entfällt, und auch die Löhne hierzulande niedrig sind, dann können deutsche Unternehmen ihre Produkte zu niedrigen Preisen auf den Exportmärkten anbieten. Damit entsteht ein Wettbewerbsvorteil und eine Wettbewerbsverzerrung. Der Euroraum gründet auf wirtschaftlichen Stabilitätskriterien, an die sich auch im Sinne eines Ausgleichs zwischen ärmeren und reicheren Ländern alle Mitgliedsstaaten halten müssen. Es gilt: Wenn der eine einen Überschuss erwirtschaftet, macht die andere ein Defizit; diese Entwicklung trägt nicht ewig, wie auch die Eurokrise in den den letzten Jahren gezeigt hat. Dazu Gustav A. Horn: »Das war von Anfang an eine Systemkrise. Niemand hat sich an die Stabilitätskriterien gehalten.«

Die andere Komponente ist, dass niedrige Löhne auch zu niedriger Binnennachfrage führen und damit die Konjunktur schwächen. Wenn die Beschäftigten dagegen mehr Geld im Portemonnaie haben, geben sie auch mehr Geld aus, die Unternehmer verdienen mehr, und im Endeffekt können sie höhere Löhne zahlen.

Doch obwohl die Entwicklung positiv sei, sei Deutschland noch »im Obligo«, sagte Horn – Latein für: in der Verpflichtung. »Die deutschen Exporte haben sich seit dem Jahr 2000 nahezu verdoppelt, während die Binnennachfrage preisbereinigt gerade einmal um rund elf Prozent zulegte«, schreiben die AutorInnen der neuen Studie Alexander Herzog-Stein, Camille Logeay, Ulrike Stein und Rudolf Zwiener.
Die über Jahre sehr niedrige Entwicklung bei den Lohnstückkosten trug zu den Ungleichgewichten im Euroraum bei. Das IMK empfiehlt darum, dass die Steigerung der Löhne in Deutschland sich in den nächsten Jahren an den Inflationsprognosen der Europäischen Zentralbank plus der steigenden Produktivität orientieren solle, um dieses Ungleichgewicht nach und nach zu nivellieren. Besonders durch die Veränderungen der Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung sind in den nächsten Jahren ein großer Produktivitätszuwachs und gleichzeitig starke Veränderungen bei den Arbeits- und Lohstückkosten zu erwarten.

Ein weiterer Faktor, der gefährliche Ungleichgewichte in der EU schaffe, sind die noch immer teilweise hohen Lohnunterschiede zwischen Industrie und Dienstleistungssektor in der Bundesrepublik. So kann etwa die Industrie Produktionsvorleistungen günstig einkaufen, somit Geld sparen und ihre Waren auf den Exportmärkten günstiger anbieten; ein Wettbewerbsvorteil. »Während der Dienstleistungssektor die Industrie hierzulande entlaste«, bei den Arbeitskosten um acht bis zehn Prozent oder drei Euro pro Stunde, sei es »insbesondere in den mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten umgekehrt«, schreiben die ForscherInnen.

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