Die Einheit ist weg
Auch ein Jahr nach der Einigung mit der Troika ist Griechenland nicht aus der Krise
Vor einem Jahr waren sich alle einig gewesen. »Griechenland hat Atem geholt, so dass es mit Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein daran gehen kann, seinen Weg in Europa wieder zu finden«, hatte die damals wie heute größte griechische Oppositionspartei, die konservative Nea Dimokratia (ND), die Besiegelung des neuen Abkommens zwischen Griechenland und seinen Gläubigern in EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank (EZB) am 13. Juli 2015 gelobt. In den Tagen nach dem triumphalen Sieg des »Nein« gegen die Unterordnung unter die Gläubigerforderungen am 5. Juli 2015 hatten Regierung und Opposition fieberhaft gemeinsam daran gearbeitet, den drohenden Austritt Griechenlands aus der Eurozone abzuwenden.
Die Abkehr des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras von den im Referendum um das »Nein« gipfelnden »Revolutionsdrohungen« und die Anpassung von SYRIZA an die unverändert harte Austeritätspolitik der Gläubiger hatten war nun endgültig erzwungen. Der neue Kurs der linken Partei wurde von der Bevölkerung in den wenige Monate später folgenden Wahlen bestätigt: Entgegen den Erwartungen und Hoffnungen seiner Gegner konnte sich Tsipras erneut gegen Nea Dimokratia durchsetzten.
Ein Jahr später ist von der Einigung in der griechischen Parteienlandschaft nichts mehr zu spüren. »Die heutige Regierung setzt keine tatsächlichen Reformen um«, schwärzte der seit Anfang des Jahres amtierende ND-Parteichef, Kyriakos Mitsotakis, jüngst seine Konkurrenzpartei bei EZB-Chef Mario Draghi an. »Anstatt die Ausgaben herunterzufahren, erhöht sie die Steuern«, warf der Sprössling einer der ältesten Politdynastien des Landes Alexis Tsipras vor. Was das Land brauche, seien »Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen«.
Der Ministerpräsident selbst kehrte dieser Tage zumindest mit dem Versprechen solcher Investitionen aus China zurück. In Schanghai hatte Tsipras sich mit einem der wenigen Großinvestoren, dem Präsidenten der Cosco Shipping Corporation Xu Lirong, getroffen. Cosco werde seine Investitionen in den von dem chinesischen Staatsunternehmen aufgekauften Containerhafen von Piräus auf 600 Millionen Euro anheben, bejubelte die griechische Presse die Erfolge des Staatsbesuchs im Reich der Mitte.
Es ist allerdings fraglich, ob dies die vom Oppositionsführer geforderten neuen Arbeitsplätze bringen wird. Bisher hat die Übernahme des größten Containerhafens des Landes nur zu Stellenabbau und geringeren Löhnen bei den übriggebliebenen Beschäftigten geführt. Die deutsche Fraport hat sich bei der Übernahme von 14 gewinnbringenden griechischen Flughäfen sogar garantierten lassen, dass der Staat für die soziale Abfederung der im Modernisierungsprozess überflüssig werdenden Angestellten aufkommen wird.
Vor diesem Hintergrund klingt es wie ein Wunder, wenn die griechische Statistikbehörde jüngst den Rückgang der Arbeitslosenzahlen verkünden konnte. Sie lag im April mit 23,3 Prozent auf dem niedrigsten Stand für diesen Monat seit vier Jahren. Der im EU-Vergleich weiterhin exorbitant hohe Wert könnte sich mit dem Ende der Tourismussaison jedoch wieder verschlechtern. Fast drei Viertel der über 1,1 Millionen Arbeitslosen können sich überdies auch keine Hoffnung mehr auf eine Rückkehr ins Arbeitsleben machen. Seit 2008 hat sich die Quote der Langzeitarbeitslosen von 40 auf 74 Prozent erhöht; am stärksten betroffen sind ausgerechnet die Produktivsten im Alter von 30 bis 44 Jahren. Sie bekommen nach mehr als zwölf Monaten Arbeitslosigkeit keinerlei weitere staatliche Unterstützung und fallen somit aus allen sozialen Netzen. Die Folge: Fast 36 Prozent der Bevölkerung sind mittlerweile offiziell armutsgefährdet, die Kinderarmut liegt bei 26,6 Prozent.
Wer vor diesem Hintergrund die weitere Kürzung von staatlichen Ausgaben, insbesondere bei den Renten und den Löhnen der eigenen Angestellten fordert, nimmt in Kauf, dass sich diese Situation weiter verschlimmert. Genau solche Kürzungen aber sind in der mit den Gläubigern vereinbarten Schuldenbremse implementiert. Sollte das Land sein Ziel eines primären Haushaltsüberschusses von 3,5 Prozent im Jahr 2018 verfehlen, muss automatisch in gleicher Höhe beim Haushalt gespart werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.