Lauschangriff auf Freunde
BND hatte 3300 Ziele in NATO und EU im Visier
Berlin. In der BND-Affäre um »Spionage unter Freunden« sind neue Details über den Umfang der bis Oktober 2013 laufenden Aktionen bekannt geworden. Nach einem der dpa vorliegenden Bericht des Bundestagsgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste (PKGr) wurde »eine niedrige zweistellige Zahl von Teilnehmern« abgehört, die Regierungen von EU- oder NATO-Ländern zuzuordnen sind. Darunter seien Staatsoberhäupter, Regierungschefs sowie deren Minister, Mitarbeiter und ihr Umfeld zu verstehen. Es gehe um »mehrere Dutzend« solcher Fälle.
Besonders intensiv hat der BND demnach diplomatische Vertretungen von EU- oder NATO-Ländern weltweit ausspioniert. In diese Kategorie fallen mehr als zwei Drittel der insgesamt 3300 Ziele mit EU- und NATO-Bezug, die der BND bis etwa Ende 2013 im Visier hatte. Hinzu kommt eine offenbar erhebliche Zahl von Nichtregierungsorganisationen oder wirtschaftlichen Akteuren. Als Beispiele werden Luft- und Raumfahrt, Rüstung, Transport, Medien und Beratung genannt. Unklar bleibt in dem Bericht unter anderem, wer mit »Medien« gemeint ist.
Die Details könnten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in diplomatische Nöte bringen - obwohl der Bericht laut dpa eigens noch einmal entschärft wurde, um gerade dies zu verhindern.
Offenbar wurde dem Gremium nur sehr beschränkt Zugang zu sensiblen Vorgängen gestattet. So befanden sich unter den vorgelegten operativen Vorgängen auch viele Einzelpersonen, ohne dass die Prüfer nachvollziehen konnten, um wen es sich dabei handelte und warum diese Person ins Visier geriet.
Ein detailliert dargestellter Fall wird als besonders gravierend und »selbst bei wohlwollender Betrachtung« ungerechtfertigt beschrieben. Es gebe »keinerlei Hinweise, dass im BND zu irgendeinem Zeitpunkt der erhoffte Informationsgewinn gegen das politische Risiko der Maßnahme abgewogen wurde«. Und weiter: »Das schwerste Problem liegt aber darin, dass der BND hier zumindest einen deutschen Staatsbürger mit Wissen und Wollen gesteuert«, ihn also abgehört hat. Deutsche Bürger sind per Gesetz im Ausland vor Ausspähung durch deutsche Dienste geschützt.
Insgesamt bescheinigt der Bericht dem Dienst, vielfach »nicht auftragskonform und rechtlich unzulässig« gehandelt zu haben. Hans-Christian Ströbele (Grüne) wirft dem BND in einem »Sondervotum« Rechtsbruch und die Verletzung internationaler Vereinbarungen vor.
Als Konsequenz erhebt der Bericht Forderungen, die sich bereits in dem kürzlich von der Koalition vorgelegten Entwurf für ein neues BND-Gesetz finden. »Zukünftig muss sichergestellt sein, dass der Schutz sensibler Ziele (...) sowie der Schutz von EU-Bürgern und EU-Einrichtungen (...) gewährleistet bleibt.«
Man setze nunmehr »auf einen klaren gesetzlichen Rahmen, ohne den BND dadurch an die Leine zu legen«, fasst der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch zusammen, der im Kontrollgremium an dem Bericht mitgearbeitet hat. Für Clemens Binninger (CDU), der dem PKGr vorsitzt, ist die Aufklärungsarbeit des BND notwendig. Sie müsse aber strikt an die vorgegebenen Aufgabenfelder gekoppelt bleiben. dpa/nd
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