Auch in Grün bleibt es Kapitalismus
Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, über Schönfärberei bei der Bewältigung der ökologischen Herausforderung
Frau Unmüßig, Sie sind Mitglied der Grünen und Vorstandsmitglied der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Eigentlich müssten Sie doch für eine Grüne Ökonomie sein. Wieso kritisieren Sie sie dann auf 190 Seiten?
Grundsätzlich bin ich für eine Grüne Ökonomie. Aber ich gehe nicht d'accord, wie diese von wichtigen Protagonisten wie der Weltbank, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) oder der Unternehmensberatungsfirma McKinsey durchbuchstabiert wird. Aus der Erkenntnis, dass wir so nicht weiter wirtschaften und konsumieren können, wenn wir Klimawandel und Ressourcenknappheit ernst nehmen, will uns die Grüne Ökonomie weismachen, dass wir mit »grünem« Wachstum aus den Ökokrisen kommen werden. Grüne Ökonomie betreibt Schönfärberei und erzeugt Illusionen. Anstatt dem Kapitalismus einen grünen Anstrich zu geben, brauchen wir zur Bewältigung der ökologischen Herausforderung eine viel radikalere Trendumkehr.
Was sind die zentralen Elemente einer Grünen Ökonomie, wie sie von den von Ihnen genannten Organisationen vertreten werden?
Das sind im Wesentlichen drei Elemente. Erstens technologische Innovation über alles, um das fossile Zeitalter zu überwinden.
Was ist schlecht an innovativen Techniken?
Richtig ist, wir brauchen Technologien. Aber die Frage ist welche? Neue Technologien wie die Bioenergie produzieren neue Zielkonflikte. Biosprit ist nicht per se grün, sondern schafft neue soziale und ökologische Probleme. Es entstehen Monokulturen, die die Biodiversität zerstören. Und es werden häufig, wie in Indonesien, Menschen von ihrem Land vertrieben. Technologien müssen gesellschaftlich diskutiert und soziale und ökologische Folge- und Langzeitwirkungen öffentlich gemacht werden.
Und die weiteren Elemente?
Das zweite ist Effizienz. Auch hier gilt: Effizienz ist nötig, allein reicht sie aber nicht. Das zeigt der berühmte Rebound-Effekt, der bedeutet, dass Effizienzgewinne wieder aufgefressen werden, weil z.B. immer mehr Menschen Auto fahren und längere Strecken zurücklegen. Effizienz muss begleitet werden durch Suffizienz. Es muss darüber nachgedacht werden, welche Sektoren schrumpfen müssen. Mit welchen Produktions- und Konsummustern können wir nicht einfach so weitermachen, wenn wir innerhalb der planetarischen Grenzen bleiben und die Klimaziele erreichen wollen.
Und das dritte Element der Grünen Ökonomie, auf die der Mainstream setzt: Mit noch mehr Ökonomie auf das Marktversagen zu reagieren, indem zum Beispiel Natur oder sogenannte Ökosystemdienstleistungen wie die Speicherung von Kohlendioxid (Wald, Moore) ökonomisch inwertgesetzt werden. Hier wird in den Markt hinein geholt, was bislang nicht ökonomisiert war.
Das passiert ja längst beim Klimaschutz. Der europäische Markt für CO2-Verschmutzungsrechte wird vielfach kopiert. Sie hingegen sind skeptisch.
Das europäische Emissionshandelssystem ist meines Erachtens gescheitert. Markt- und Lobbyinteressen haben dafür gesorgt, dass es viele Ausnahmen gibt, Zertifikate verschenkt anstatt verkauft werden. Der CO2-Preis beläuft sich derzeit auf drei bis fünf Euro. Notwendig wären mindestens 30 bis 40 Euro pro Tonne Kohlendioxid. Andernfalls haben Unternehmen keinen Anreiz, zu sparen und effizienter zu werden. Die erhoffte Lenkungswirkung bleibt aus.
Kürzlich gab es die Meldung, dass sich das Ozonloch wieder schließt. Ein Erfolg des Verbots von FCKW durch das Montreal-Protokoll 1987. Sind mehr Verbote und weniger Markt notwendig?
Die Umweltpolitik der letzten 20, 30 Jahre war hier und da durchaus erfolgreich. Unter anderem gelang es durch das Verbot von FCKW, dass sich das Ozonloch nicht weiter vergrößerte und sich jetzt offenbar wieder verkleinert. Verbote von toxischen Pestiziden oder Blei im Benzin sind eine Erfolgsgeschichte der Umweltpolitik. Grüne Ökonomie setzt viel zu wenig auf Regulierung, Grenzziehungen und Verbote. Das Mantra des Marktes ist überdeutlich.
Interessant finde ich in Ihrem Buch das Argument, dass neben der Dekarbonisierung auch eine Dematerialisierung angestrebt werden müsse.
Im Kampf gegen den Klimawandel müssen wir alles geben, damit wir keine fossilen Brennstoffe wie Erdgas, Kohle und Öl mehr verbrennen. Das wird aber nicht reichen. Es gibt nicht nur eine Klimakrise, sondern auch eine Ressourcen- und Gerechtigkeitskrise. Wir verknappen Ressourcen, biotische und mineralische, und entnehmen dem Planeten insgesamt zu viele Ressourcen. Die Nutzung der Ressourcen ist zudem global sehr ungerecht verteilt. Dekarbonisierung und Dematerialisierung müssen Hand in Hand gehen, wenn alle Menschen auf dem Planeten Zugang zu Ressourcen haben sollen.
Sie schreiben zwar ausdrücklich, dass sie »keinen großen Gegenentwurf« zur herkömmlichen Definition der Grünen Ökonomie vorlegen wollen. Wie sähe denn ein »kleiner« aus?
Zunächst: Wir haben keine neue Blaupause, auch wenn es viele und machbare Vorschläge und Szenarien für die Energie- oder Agrarwende gibt. Erstens braucht es tief greifende soziale und natürliche technologische Innovation. Politisch müssen ökologische Grenzen gesetzt werden. Wir müssen die ökologischen Herausforderungen repolitisieren. Ohne demokratische Teilhabe und ohne Gerechtigkeit werden wir gar nichts erreichen. Effizienter, weniger und anders - oder Innovation, Grenzen und Gerechtigkeit: das wären Kernpunkte eines Gegenentwurfes zur Grünen Ökonomie. Wir AutorInnen des Buches verbinden das mit einer kapitalismus- und wachstumskritischen Perspektive.
Anfang Juli wurde die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen. Wie beurteilen Sie diesen Schritt?
Leider wird dadurch der dynamische Ausbau der Erneuerbaren gestoppt. Das, was wir mit den Erneuerbaren verbunden haben - Energie in BürgerInnenhand, eine Dezentralisierung des Energiesystems -, wird mit der Reform immer schwieriger.
13.7., 18.00 Uhr, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Salon, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin. Diskussionsveranstaltung mit Barbara Unmüßig, Michael Brie und Dagmar Enkelmann zum »Grünen Kapitalismus«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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