Ein Maler, der Worte zertrümmert
Der Thüringer HP Meyer spielt gern mit Vieldeutigkeiten, wie in Apolda zu sehen ist
»BAU HAUS IM WAHN I.« ist ein programmatischer Titel. Der Weimarer Maler Horst Peter Meyer spielt gern mit der Vieldeutigkeit von Worten. Ob bei dieser Arbeit die jubiläumsbedingte Aneignung des Bauhauses auf dem Niveau von Souvenirartikeln gemeint ist oder die intensive kurze Zeit in den 1920er Jahren, als die Bauhäusler neue Ideen mit Leben füllen wollten, bleibt dahin gestellt. In der zeichenhaften Komposition mit viel Schwarz schwebt zentral eine engelhafte Figur in Rot. Der Künstler liebt diese aufrührerische Farbe - genau wie das Schwarz, das für ihn höchst lebendig ist. Damit schließt er Linien ein, arbeitet aus der Tiefe heraus oder übermalt bereits Formuliertes. Keine leicht verdauliche Kost.
Das Kunsthaus im thüringischen Apolda widmet sich in acht Kapiteln seinem künstlerischen Schaffen und zeigt dabei Werkkomplexe aus 30 Jahren. Meyers Blätter entziehen sich schneller Lesbarkeit. Sie verlangen nach Aufmerksamkeit, nach Innehalten und Annäherung auf eine subtile Art.
Der Weimarer Maler, der dieser Tage 65 Jahre alt wurde, arbeitet seit seinem Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden an einer eigenen, unabhängigen Bildsprache im Grenzbereich zwischen Abstraktion und Figur - immer auf der Basis von solidem Handwerk. Von keinem System hat er sich vereinnahmen lassen, unkorrumpierbar seine Haltung in kritischer Distanz.
Auch im Kunstbetrieb unserer Tage macht er keine Kompromisse. Konsequent verfolgt der »Künstler mit Migrationshintergrund«, wie er sich selbst bezeichnet, seine Themen. Im Innern erlebt Meyer seit Jahrzehnten die Freiheit, die er zur Arbeit braucht. Als Wortkünstler hat er mit Aphorismen und Texten die eigene bildkünstlerische Ausstellungstätigkeit kommentiert. Mit Titeln wie »ERNTE DANK IM MINENFELD« (Gera), »RANZENKONTROLLE« (Köln) oder »NACHTIGALLENBITTER« (Erfurt) hat er eigene Expositionen überschrieben und damit Schriftzeichen gesetzt. Meyer zertrümmert die Worte, um Raum für neue Sinnzusammenhänge zu schaffen - ohne Interpunktion. Im Apoldaer Kunsthaus ist seinen Textarbeiten ein eigener Raum gewidmet.
Das Spiel zwischen Rezeption und Produktion, das der Künstler gern betreibt, kommt vor allem in seinen seriellen Arbeiten zum Ausdruck. »Die RILKE SUITE« umfasst 185 Blätter, die - teilweise im Original - in der Ausstellung in Gänze in einem digitalen Bilderrahmen zu sehen sind. In collagenhaften Blättern denkt HP Meyer über ein Rilke-Gedicht aus »Die Sonette an Orpheus« nach - über das Gehen in jedwedem Sinn. Der Dichter schrieb die lyrischen Texte für ein Grabmal.
Mit den schönen und abgründigen Seiten menschlicher Beziehungen beschäftigt sich HP Meyer in einer Serie großer Kaltnadelradierungen. Durch Salome, Lais und ein Paar ohne biblischen oder kulturgeschichtlichen Hintergrund werden tiefe Gefühle wie Liebe und Begehren ausgelotet - aber auch Verführung, Beherrschen und Gewalt. Auf wesentliche Haltungen reduziert sind die Figuren, die einander betrachten und abtasten. Mit der Linienführung schafft der Künstler Nähe und Distanz.
Der Ausstellungstitel »Neusaetze« bezieht sich auf die Adresse des Ateliers, das Meyer in der Apoldaer Straße mit dem merkwürdigen Namen »Neusätze« gefunden hat. In einem alten Industriegebäude arbeitet er jetzt mit Studenten und Absolventen der Bauhaus-Universität Tür an Tür. Ein zur Ausstellung erschienener Katalog versucht eine Annäherung an den vielseitigen Künstler und seine geheimnisvolle Bildwelt.
Horst Peter Meyer: »Neusaetze. Bilder. Blätter, Texte« bis zum 4. September im Kunsthaus Apolda Avantgarde, Bahnhofstraße 42, Tel. 03644-515364; www.kunsthausapolda.de
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