Wagen USA und Russland START-3?

Präsident Putin will in Moskau mit Außenministern Kerry und Lawrow sprechen

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Vorwürfe über die Gefährdung der Sicherheit wurden Mittwoch im NATO-Russland-Rat ausgetauscht. Um mehr könnte es am Donnerstag in Moskau gehen.

Die Ankündigung einer Audienz der Außenminister der USA und Russlands bei Russlands Staatschef Wladimir Putin am Donnerstag wertete die Brüsseler Gespräche im NATO-Russland-Rat am Mittwoch über die Aufrüstungsbeschlüsse am Mittwoch auf. Dort wiederholten beide Seiten ihre Vorwürfe über eine zunehmende Gefährdung der europäischen Sicherheit. Nun steigt der Ost-West-Dialog von der wenig entscheidungsstarken Botschafter- auf die Chef- und sogar die höchste Ebene. Keine Selbstverständlichkeit.

Der Moskau-Besuch von Außenamtschef John Kerry bei seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow ist bereits der vierte seit Mai 2015. Diesmal, so Leitartikler, wolle Washingtons Chefdiplomat vor allem die Wogen nach dem NATO-Gipfel in Warschau glätten und verhindern, dass der scheidende US-Präsident Barack Obama mit einer Neuauflage des Kalten Krieges in die Geschichtsbücher eingeht. Bei den Konsultationen mit Lawrow werde Kerry sich auf Themen konzentrieren, bei denen kurzfristig Fortschritte möglich seien. Syrien, die Ukraine und die bilateralen Beziehungen wurden vom Kreml genannt.

Die Ukrainekrise, erwartet jedoch Ex-Vizeaußenminister Anatoli Adamischin, werde nur ein Nebenschauplatz sein. Zwar seien beide Seiten der Sanktionen und Gegensanktionen müde und zunehmend genervt von den schwierigen Partnern in Kiew. Washington weigere sich dennoch, die ukrainische Führung zur Erfüllung der Minsker Vereinbarungen zu drängen, wie von Moskau gefordert.

Chancen sieht Sergei Rogow vom USA/Kanada-Institut dagegen beim Konfliktmanagement in Syrien - beim Austausch geheimdienstlicher Informationen sowie bei der Prävention von Zwischenfällen mit Kampfschiffen und -flugzeugen Russlands und der NATO - und bei der Rüstungskontrolle. Es geht vor allem um eine Verlängerung des START-3-Vertrages zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen. Er erlaubt beiden Seiten jeweils 1550 Kernsprengköpfe und 700 Trägerraketen. Obama und Russlands damaliger Präsident Dmitri Medwedew hatten ihn beim Neustart der Beziehungen 2009 auf den Weg gebracht, schon 2010 wurde er unterzeichnet, 2011 ratifiziert und rechtskräftig.

Doch das war vor der Rückkehr zu Kaltem Krieg und Konfrontation. Schon im Februar 2015 erklärte Vizeaußenminister Sergei Rjabkow, Moskau werde START-3 nicht verlängern. Der Chef des Sicherheitsausschusses im Senat, Viktor Oserow, drohte gar mit vorfristiger Kündigung. Die Kollegen in der Duma hätten sich das bei der Ratifizierung per Fußnote ausdrücklich vorbehalten. Für den Fall, dass die USA mit ihren Raketenabwehrplänen für Europa Ernst machen.

Von einer Verlängerung, glauben die Wissenschaftler vom USA/Kanada-Institut, würde vor allem Russland profitieren: Washington müsse real abrüsten, Moskau nur alte durch neue moderne Sprengköpfe ersetzen. Auch der mühsam ausgehandelte Kontrollmechanismus müsste nicht neu erfunden werden.

Der Kreml, so Wladimir Putins Sprecher, habe bisher kein schriftliches Angebot bekommen. Dass Kerry es mitbringt, ist unwahrscheinlich. START-3 läuft erst 2021 aus. Zum Ende der ersten Amtszeit von Hillary Clinton, so die Demokratin Obama im Amt nachfolgt. Sie ist in Moskau nicht sonderlich beliebt. Kerry, glauben Beobachter daher, wolle auch für sie und ihren rationalen Politikstil werben. Von politischer Kontinuität werde auch Moskau profitieren. Ob die Demokraten im Kongress dann über die für die Ratifizierung nötige Mehrheit verfügen, ist eine andere Frage.

Die Wiederaufnahme der Abrüstungsverhandlungen hätte Signalwirkung und weit reichende Folgen, schreiben mehrere Blätter. Hauptproblem bei der Konfrontation Russland-NATO seien Differenzen zwischen Moskau und der Führungsmacht des westlichen Militärbündnisses.

Rüstungsexperten warnen jedoch davor, das START-Potenzial zu überschätzen: Es hinke dem technischen Fortschritt hinterher. Wer ein neues strategisches Gleichgewicht wolle, so Ruslan Puchow, müsse auch zu Raketenabwehr, Weltraumwaffen oder Prompt Global Strike (PGS) verhandeln. Das englische Kürzel steht für »umgehenden, weltweiten Schlag« und damit die Möglichkeit, beliebige Ziele innerhalb einer Stunde zu treffen. Die USA arbeiten daran bereits seit den Nullerjahren. Russland, China und Indien zogen inzwischen nach.

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