Bundeswehr an allen Fronten
Koalition beschließt neue Sicherheitspolitik
Zweieinhalb Jahre ist es mittlerweile her, dass Bundespräsident Joachim Gauck bei der Münchner NATO-Sicherheitskonferenz eine stärkere Rolle Deutschlands in der Welt und mehr militärisches Engagement forderte. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsressortchefin Ursula von der Leyen (CDU) pflichteten ihm damals bei. Praktische Schritte zur weiteren Militarisierung der deutschen Außenpolitik werden nun im neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik formuliert, welches das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen hat. Das Dokument löst das letzte Weißbuch ab, das vor zehn Jahren erschienen war.
Bei der Vorstellung des 83-seitigen Papiers in der Berliner Bundespressekonferenz betonte von der Leyen, dass die Bundesrepublik bereit sei, »mehr Verantwortung zu übernehmen und zu führen«. Als ein Beispiel hierfür nannte die Ministerin die Rolle der Bundeswehr in Litauen. In dem baltischen Staat übernimmt das deutsche Militär im Rahmen der Verstärkung der NATO-Präsenz in Osteuropa die Führung über ein Bataillon. Die Strategien des nordatlantischen Militärbündnisses richten sich gegen das an Litauen angrenzende Russland. Die Beziehungen zwischen der NATO und Moskau haben sich seit dem Konflikt in der Ukraine und der Annexion der Krim deutlich verschlechtert.
Zudem stehen Nordafrika und der Nahe Osten als weitere Konfliktregionen, die nicht weit von Europa entfernt sind, im Fokus der deutschen Außenpolitik. Von der Leyen betonte, dass »Schlüsselländer wie Jordanien und Tunesien frühzeitig unterstützt werden müssen, damit sie nicht verloren gehen«. Ob es sich bei den befreundeten Staaten um Demokratien oder Diktaturen handelt, spielt für die Bundesregierung keine entscheidende Rolle. Neben Jordanien gehört beispielsweise Ägypten zu den mit Deutschland verbündeten autokratischen Regimen in der Region, die schwere Menschenrechtsverletzungen begehen. Die Bundesregierung hat ein großes Interesse daran, dass diese absoluten Monarchien oder faktischen Militärdiktaturen den Einfluss dschihadistischer Bewegungen eindämmen. Aus diesen Gründen hatte die Bundesrepublik auch Waffen an die kurdischen Peschmergakämpfer in Nordirak geliefert und militärische Ausbilder entsendet. Letzteres geschah ohne Auftrag der NATO, der EU oder der Vereinten Nationen. Die Kurden kämpfen ebenso wie die irakische Armee gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.
Parallel zu den NATO-Strukturen will die Bundesregierung die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union vorantreiben. Dieser Prozess könnte nun aufgrund des nach dem Referendum absehbaren Ausscheidens von Großbritannien aus der EU beschleunigt werden. Von der Leyen wies darauf hin, dass man zuletzt in vielen Fragen nicht vorangekommen sei, »weil Großbritannien konsequent alles blockiert hat, wo Europa draufstand«. Dass Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik oft nicht mit einer Stimme spreche, sei einer der Gründe für die »teilweise Frustration der Menschen« in Bezug auf die EU, mutmaßte die CDU-Politikerin. Als Basis für die militärische Kooperation der Europäer nannte sie den Lissabon-Vertrag, der im Dezember 2009 in Kraft getreten war. Die Bundesregierung will hierbei eng mit Frankreich kooperieren. Die baldige Schaffung einer EU-Armee, in der Deutschland aufgrund seiner Größe eine führende Rolle spielen würde, hält Berlin noch nicht für realistisch. Stattdessen wird mittelfristig der Aufbau eines ständigen zivil-militärischen operativen EU-Hauptquartiers angestrebt.
Für ihre immer zahlreicheren Missionen in Afrika, Südosteuropa und Asien benötigt die Bundeswehr auch mehr Personal. Die starre Obergrenze für die Truppenstärke von 185 000 Soldaten soll fallen. Hierzulande finden sich aber offenbar nicht genügend junge Leute, die sich in diesen gefährlichen Zeiten dazu bereit erklären, zur Bundeswehr zu gehen. Deswegen sollen nach Ansicht der Verteidigungsministerin auch EU-Ausländer das deutsche Militär verstärken können. Das dürfte nicht einfach werden. Denn hierfür wäre eine Änderung des Soldatengesetzes erforderlich und der Bundeswehrverband, die größte Interessenvertretung der Soldaten, hat sich bereits ablehnend geäußert. Anstatt Argumente vorzubringen, appellierte Verbandschef André Wüstner an patriotische Gefühle. Er sprach von einem »besonderen gegenseitigen Treueverhältnis von Staat und Soldat«. Bisher dürfen nur deutsche Staatsbürger Soldaten werden.
Deren Einsatz im Inland war vor der Veröffentlichung des Weißbuchs der größte Streitpunkt in der Großen Koalition. Das Vorhaben der Union, durch eine Grundgesetzänderung Soldaten leichter zur »Gefahrenabwehr« im Inland einzusetzen, war am Widerstand der SPD gescheitert. Letztlich einigte sich die Große Koalition auf eine Kompromissformel im Weißbuch, wonach die Bundesregierung den Einsatz von Soldaten bei »terroristischen Großlagen« für verfassungskonform hält.
Der Schutz der inneren Sicherheit ist grundsätzlich Aufgabe der Polizei. Nach dem Grundgesetz darf die Bundeswehr nur in Ausnahmefällen im Inland tätig werden. Zu diesen zählen der Spannungs- und Verteidigungsfall, bürgerkriegsähnliche Situationen sowie Naturkatastrophen oder besonders schwere Unglücksfälle. Nach Ansicht der Bundesregierung lässt sich auch eine »terroristische Großlage« als besonders schweren Unglücksfall bezeichnen. Von der Leyen erklärte, dass die Bundeswehr dann »unter Federführung der Polizei zu einem Einsatz gerufen werden kann«. Um im Ernstfall auf diese Situation vorbereitet zu sein, soll es künftig erstmals gemeinsame Übungen von Soldaten und Polizeien von Bund und Ländern geben.
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