Alimente für Pharmafirmen

Krankenkassen warnen Versicherte vor steigenden Zusatzbeiträgen

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 4 Min.
Die neuesten Zahlen aus der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verheißen nichts Gutes. Es wird wieder teurer für die Patienten, während man Ärzten für sinnlose Studien Geld zuschanzt.

Krankenversicherte müssen auf steigende Beiträge gefasst sein. Das bestätigte die Vorsitzende des Kassen-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, am Donnerstag bei einer Veranstaltung in Nauen bei Berlin.

Bereits für das kommende Jahr wird von den Kassen ein Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitrags um 0,3 Prozentpunkte auf rund 1,4 Prozent vom Einkommen prophezeit. Das wären bei einem Monatsbrutto von 2000 Euro zwar nur sechs Euro mehr, aber 2019 werde der Zusatzbeitrag dann im Schnitt schon bei 1,8 Prozent liegen, heißt es. So wird den Versicherten ein Euro nach dem anderen aus dem Portemonnaie genommen, während die Arbeitgeber, die sich den allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent zur Krankenversicherung mit den Arbeitnehmern teilen, nicht beteiligt werden. Maria Klein-Schmeink von den Grünen fordert, der Arbeitgeberanteil dürfe nicht länger eingefroren bleiben. Gesundheitsexperte Harald Weinberg von der Linksfraktion im Bundestag erinnert an die von seiner Partei vorgeschlagene solidarische Gesundheitsversicherung. Mit ihr könnten die Krankenkassen ihre Beitragssätze um ein Drittel senken und sämtliche Zuzahlungen abschaffen. »Stattdessen müssen Versicherte mit kleinem und mittlerem Einkommen immer wieder mitverfolgen, wie die Politik von CDU/CSU und SPD für steigende Zusatzbeiträge und weniger Netto sorgt«, sagte Weinberg.

Als Grund für die Beitragssteigerungen nannte Doris Pfeiffer steigende Ausgaben. So bekämen die Kassen zu wenig Geld für Hartz-IV-Bezieher. Statt 90 Euro seien hier im Schnitt 136 Euro pauschal im Monat nötig.

Steigende Ausgaben werden seit Jahren auch bei den Arzneimitteln beklagt, unterstützt von der pharmafreundlichen Gesetzgebung der Bundesregierung. Sie lehnte eine Nutzenprüfung für lange auf dem Markt befindliche Medikamente ab, Überflüssiges wird weiter verordnet. Auch die viel kritisierte Festlegung des Einstiegspreises für ein Arzneimittel durch den Hersteller selbst will das Gesundheitsressort unter dem christdemokratischen Minister Hermann Gröhe beibehalten. Diese Praxis missfällt dem Vizechef des Kassen-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg. Er wies kürzlich auf die sagenhaften Bruttoumsätze mehrerer Arzneimittel in deren erstem Jahr hin: Harvoni gegen Hepatitis C erzielte 783 Millionen Euro, Sovaldi ebenfalls gegen Hepatitis C 495 Millionen und Tecfidera gegen Multiple Sklerose 326 Millionen Euro. Mondpreise nennt man das in der Branche.

Der Bundesgesundheitsminister, der unlängst einen »Pharmadialog« führte, ohne andere beteiligte Akteure des Gesundheitssystems einzubeziehen, feilt derzeit an einer Novelle zum Arzneimittelgesetz, die seine Dialogpartner nicht verärgern soll. Er will eine Umsatzschwelle einführen. Erreicht das Arzneimittel diese, gilt der mit den Krankenkassen ausgehandelte Preis rückwirkend. Von Stackelberg fordert, dass der niedrigere Erstattungspreis auf jeden Fall rückwirkend gilt - unabhängig von Umsatzschwellen und ab dem ersten Tag der Markteinführung. 245 Millionen Euro könnten die Kassen im Jahr so sparen. Martin Litsch, Chef des AOK-Bundesverbandes, fürchtet allerdings, Gröhes Arzneimittelreform könnte ein »Pharmawunschkonzert« werden. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn es wäre nicht das erste Mal, dass die Hersteller von Arzneimitteln bei der Politik ihren Willen durchsetzen. Sie verweigern sich auch konsequent der Offenlegung ihrer Geldbeziehungen zu Ärzten und ersetzten diese durch den Verein »Freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie (FSA)«, in dem nicht einmal alle Firmen vertreten sind.

Recherchen von »Spiegel Online« zufolge verteilten die 54 größten FSA-Mitglieder im Jahr 2015 insgesamt 575 Millionen Euro. Nach Berechnungen, die zusammen mit Correctiv vorgenommen wurden, floss das Geld an 71 000 Ärzte und Fachkreisangehörige sowie 6200 medizinische Einrichtungen. Lediglich ein kleiner Teil der Begünstigten, 20 000 Ärzte, stimmten der Veröffentlichung ihrer Namen in einer Online-Datenbank unter »correctiv.org/euros« zu. Kurz nachdem sie freigeschaltet wurde, erlag sie dem Ansturm der Neugierigen.

119 Millionen Euro zahlten Pharmafirmen laut FSA für Vortragshonorare, Fortbildungen und Reisespesen an Ärzte. Spitzenreiter unter den namentlich bekannten Geldempfängern war ein Arzt in Essen. Dr. Hans Christoph Diener erhielt mehr als 200 000 Euro für Vorträge, Fortbildungen, Beratungshonorar und Spesen. Auf Platz zwei folgt der Bonner Mediziner Dr. Jürgen Rockstroh mit 148 000 Euro, danach zwei Diabetologen aus Bochum und Mainz. »Dass diese Ärzte an der Spitze stehen, heißt nicht, dass sie deutschlandweit auch die meisten Zuwendungen bekommen haben«, schreibt das Recherchenetzwerk auf seinem Portal. Sie führten nur den Rang der Freiwilligen an.

Klaus Lieb von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft nannte es enttäuschend, dass nur 29 Prozent der Ärzte einer Veröffentlichung ihres Namens zustimmten. »Wir Ärzte haben bezüglich Interessenskonflikten einen blinden Fleck«, kritisiert der Mediziner.

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