Frankreich trauert erneut

In Nizza starben mindestens 84 Menschen bei einer terroristischen Amokfahrt

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Lastwagen rast am Nationalfeiertag in Nizza in eine Menschenmenge. Präsident Hollande kündigt die Verstärkung des Kampfes gegen den Islamischen Staat in Syrien und Irak an.

Nach dem opferreichen Mordanschlag von Donnerstagabend in Nizza hat Präsident Francois Hollande drei Tage Staatstrauer ab Sonnabend angeordnet. Der Ausnahmezustand, dessen Beendigung er erst wenige Stunden zuvor für Ende des Monats angekündigt hatte, wird um mindestens drei Monate verlängert. Dass es sich zweifellos um einen terroristischen Anschlag handelte, hat Hollande in einer Ansprache in der Nacht zu Freitag bestätigt. Gleichzeitig betonte er, dass Frankreich seine Luftangriffe gegen den Islamischen Staat (IS) in Irak und in Syrien fortsetzen und verstärken werde.

Am Donnerstagabend war in Nizza gegen 23 Uhr nach dem Feuerwerk zum Abschluss des französischen Nationalfeiertags am 14. Juli auf der berühmten Uferstraße »Promenade des Anglais« ein Lastauto von seinem Fahrer bewusst in die Menschenmenge gelenkt worden. Auf seiner rund zwei Kilometer langen Fahrt im Zickzackkurs über Fahrbahn und Bürgersteig hat er viele Dutzend Erwachsene und Kinder niedergewalzt oder mitgerissen. Die Polizei stoppte den Lastwagen letztlich durch Schüsse ins Fahrerhaus. Der Lenker wurde tödlich getroffen.

Den im Lkw gefundenen Papieren zufolge handelte es sich um den in Nizza lebenden 31-jährigen Franzosen tunesischer Herkunft Mohamed Lahouaiej Bouhlel. Er war der Polizei als Kleinkrimineller bekannt, nicht jedoch als radikalisierter Islamist. Der gelegentliche Auslieferungsfahrer hatte sich den 19 Tonnen-Lkw zwei Tage zuvor bei einem Verleihunternehmen beschafft. Augenzeugen zufolge war der Fahrer mit einer Pistole bewaffnet und hat während seiner Fahrt aus dem Fenster in die Menschenmenge geschossen. Nach Angaben des Innenministeriums von Freitagmittag wurden bei dem Anschlag 84 Menschen getötet, 18 schweben noch in Lebensgefahr und weitere 50 wurden mehr oder weniger schwer verletzt. Zu den Toten zählen auch drei Deutsche.

Im Pariser Innenministerium wurde ein Krisenstab gebildet, am Freitagvormittag tagte im Elysée der Nationale Sicherheitsrat und es wurde beschlossen, zur Entlastung der Polizisten, die nach dem seit November anhaltenden Ausnahmezustand erschöpft sind, Reservisten der Armee einzusetzen. Die Sicherheitsbehörden und Terrorexperten gehen davon aus, dass es sich bei diesem dritten schweren Mordanschlag in Frankreich innerhalb von zwei Jahren um eine direkt oder indirekt durch den Islamischen Staat (IS) initiierte Tat handelt. Zumal Frankreich von diesem wiederholt als sein Hauptgegner bezeichnet wurde.

Das hat erst vor Tagen der Direktor des Inlandsgeheimdienstes DGSI, Patrick Calvar, vor einer Parlamentskommission bestätigt und dabei erklärt: »Der nächste Anschlag ist schon sicher, wir wissen nur noch nicht, wann und wo.« Der Islamische Staat habe seine heimlichen Anhänger in Frankreich aufgerufen, nicht mehr zum offenen Kampf nach Syrien zu kommen, sondern die »Ungläubigen« in ihrer eigenen Heimat zu töten, »notfalls mit Messern oder Steinen«.

In diesem Zusammenhang ging der DGSI-Direktor davon aus, dass die Anschläge »technisch primitiver« werden, dass dafür nicht unbedingt Waffen benötigt werden und dass auch Fahrzeuge als »Rammböcke« oder mit Sprengstoff beladen als rollende Bomben dienen können. Der Islamexperte Gilles Kepel von der Pariser Hochschule für Politische Wissenschaften schätzt ein, dass die Methoden der Terroristen »immer einfacher und damit immer schwerer vorauszusehen« sein werden. Die radikalen Islamisten legten es darauf an, durch opferreichen Terror islamischer Täter die Masse der Franzosen gegen ihre muslimischen Mitbürger aufzubringen und so »einen Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Konfessionen zu provozieren«.

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