In Kühren dreht sich (fast) alles um Elefanten
Bewohner eines sächsischen Dorfes identifizieren sich stark mit ihrem Wahrzeichen - einem grauen Dickhäuter
Wer durch das Örtchen Kühren fährt, kann den Elefanten nicht übersehen. Mitten im Zentrum steht das graue Tier, das ab und an auch Wasser speit. Der Elefant ist das Wahrzeichen des Dorfes - und nimmt im Alltag der Kührener einen zentralen Platz ein.
Das Standbild erinnert an ein Stück Heimatgeschichte: Am 8. Juli 1888 ließ der Kaufmännische Verein zu Wurzen bei einem Sommerfest einen Ballon aus Seidenstoff aufsteigen, der die Form eines Elefanten hatte. Als der Spiritusvorrat zur Neige ging, sank der Ballon bei Kühren auf einer Wiese nieder - und plötzlich stand da ein Elefant. Ein Bauer soll das vermeintliche Tier mit zwei Schüssen erlegt haben, weitere Zeugen und vor allem die Dorfjugend rissen den Elefanten in Stücke. Der »Elefantenmord von Kühren« war geschehen - und die Kührener wurden in einem Spottgedicht der Lächerlichkeit preisgegeben.
»Es ist dann wohl 1976 eine spontane Idee in der Kneipe gewesen, einen Betonelefanten zu bauen«, sagt der Vorsitzende des Heimatvereins Kühren, Rolf Weber. Ausgeheckt hatte sie der Elektriker Friedrich Naumann, der sich gemeinsam mit seiner Familie - Frau und sechs Kinder - an die Arbeit machte. »Die LPG hat mit Material ausgeholfen«, ergänzt Ortschronistin Regina Jähnigen. Insgesamt war der Betonelefant rund eine Tonne schwer, etwa 3000 Mark seien Material und Arbeitseinsatz damals wohl wert gewesen, schätzen Weber und Jähnigen.
Aufgestellt wurde der Elefant als Brunnen im Juni vor 40 Jahren auf einem Platz in der Ortsmitte, auf dem zuvor ein »Kriegerdenkmal« stand, wie Weber berichtet. Im Lauf der Jahre drang immer mehr Wasser in den Beton ein und begann, die innen liegende Metallkonstruktion zu zerfressen - der Beton platzte ab. »Als der alte Elefant am 17. Mai 2008 abgerissen wurde, stand er bis zum Bauch voll Wasser«, erzählt Jähnigen.
Im Innern entdeckten die Kührener ein Rohr, in das Erbauer Naumann verschiedene Zeitdokumente gesteckt hatte, unter anderem eine Beschreibung darüber, wie er und seine Familie den Elefanten gebaut hatten. Sie wird im örtlichen Dorf- und Heimatmuseum verwahrt - wie so manch anderes Erinnerungsstück an die lange Geschichte des Elefanten.
Für die Kührener war klar: Ein neuer Elefant muss her. Denn der große Dickhäuter hatte sich schon breit gemacht im Ort: Das Restaurant »Zum wilden Richard« hieß längst »Zum Elefanten«. 1987 hatte sich die Gemeinde sogar ein offizielles Wappen erstellen lassen, in dem ein Elefant zu sehen war. Und so wurde der Künstler Thomas Stern aus Seifhennersdorf beauftragt, einen neuen Elefanten zu gestalten.
Das Tier aus Glasfaser und Polyesterharz wurde am 11. Juli 2008 feierlich eingeweiht. Den Großteil der 10 700 Euro, die dafür fällig wurden, übernahm die Stadt Wurzen, zu der Kühren inzwischen gehört. Bürger und Unternehmer des Ortes beteiligten sich mit Spenden - auch wenn manche den neuen Elefanten als »zu künstlich« empfinden. Der Elefantenliebe der Kührener tut dies keinen Abbruch. Die Kita im Ort heißt »Rüsselchen«, die Schule schmückt eine Sonnenuhr im Elefantendesign. Handwerker und Unternehmen haben einen Elefanten in ihrem Logo, ein Stoffelefant wird alljährlich zur Einschulung mit Zuckertüten behängt.
Und dann ist da Kirsten Reinicke, die quirlige Inhaberin des Restaurants »Zum Elefanten«. Sie sammelt Elefanten in jeder Form - von der Holzfigur über Plüschtiere bis hin zum Lampion. »1455 Exemplare sind es derzeit, aber es können täglich neue hinzukommen«, berichtet sie.
Einen geklöppelten Dickhäuter hat ihr ihre ehemalige Physiklehrerin geschenkt, ein Elefantenbild ist aus lauter Briefmarken zusammengestellt, die - was sonst - alle Elefanten zeigen. Selbst die Salz- und Pfefferstreuer auf den Tischen sind Porzellanelefanten. »Die haben wir selbst gekauft, die anderen sind Geschenke von Gästen.« Bis zum 50. Geburtstag des Kührener Elefanten werden sicherlich noch etliche Exemplare hinzukommen. dpa/nd
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