Der Blonde ist der Türke
Albert Ostermaiers »Gold« bei den Nibelungen-Festspielen Worms, Regie: Nuran David Calis
Hagen schlug Haken, die Speerspitze traf. Hagen hieß Griezmann, er kannte genau die unglückliche Stelle, wo Deutschlands Lindenblatt klebte. Mehrere Stellen. Mehrere Blätter. Ein Lindenhain geradezu. Das Blatt der Verwundbarkeit klebte an Schweinsteigers Hand, an Müllers Fuß, es war das Wundmal auf Boatengs Wade und Gomez’ Oberschenkel, es hatte auch die Farbe einer folgenreichen gelben Karte, gegen Hummels. Also: den italienischen Drachen erledigt, am gallischen Hahn gescheitert, dann noch einmal gerempelt von den gemütsfinsteren Schnatter-Enten des antinationalen Ideologieordens. Der regelmäßig schlechte Laune ausschwitzt, wenn er einen deutschtreuen Fußball-Spaß in Schwarzrotgold wittert.
Die Nibelungen-Festspiele in Worms und Fußball? Ja, alle Prominenz zur Premiere war überstrahlt von ihm - der begeistert empfangen wurde, und er wirkte, als sei er in besonderer Weise interessiert an Heldensagen, an Geschichten über strategische Mark- und taktische Stolpersteine: Joachim Löw. Ach, ein Sommerfestival ist stets auch Groupie-Gala. Ist schöner Schein und schönes Wetter. Und darf heiter lächelnd Geschmacksgrenzen wässern - die Springbrünnchen in der Parkanlage am Dom sprudelten nibelungenlike: blutrot.
Die Nibelungen in Worms. Von Jahr zu Jahr Bearbeitungen, Übermalungen, Fortschreibungen. Der Kaiserdom als steinstarke Kulisse, in mittelbarer Nähe zum Rhein, wo das Gold der Burgunder »gebunkert« sein soll. Diesjähriger Höhepunkt ist die Uraufführung des Stückes »Gold - Der Film der Nibelungen« von Albert Ostermaier, Regie: Nuran David Calis.
Ein Nibelungenfilm wird gedreht. Ideen, Eitelkeiten, Konkurrenzen. Die Bühne von Irina Schickedanz zeigt einen Set. Die Garderoben der Stars als Glaskästen - kalte Käfige einer Transparenz, die kein privates Reservat mehr zulässt. Kameraschienen, eine malerische Ecke Dschungel, rechts eine Leinwand, die einige gedrehte Szenen zeigt, aber auch das tosende, tobende Geschehen am Drehort selbst. Film im Film im Film. Das Gernegroßgeschäft in Großaufnahme. Zwischen Frayns »Nacktem Wahnsinn« und Truffauts »Amerikanischer Nacht«. Das Drama um die Vorherrschaft zwischen Kriemhild und Brünhild, das Werden und Wallen von Hagens Racheplan - Ostermaier hat es bezwingend geschafft, dass der vordergründige Plot eines Drehs sich mehr und mehr in ein Verwirrspiel schiebt. Das die Grenzen zwischen Fiktion und Realität aufweicht. Das aus Rollen Existenzen schält. Trivialität wird Tragödie - unter gleißenden Scheinwerfern wird ein Jeder zu einem Schein-Werfer. Die Würfe tun, was sie sollen: weh.
Großartig treibend die Musik von Vivan und Ketan Bhatti. In balkanischer Bregovich-Manier durchstreifen die Musiker das Gefilde, und Vladimir Burlakovs Regisseur (affektiert genialisch, also panisch unsicher) hat einen konflikttreibenden Einfall: Der blonde Siegfried, dieser »deutscheste aller deutschen Helden«, der für den Schlappschwanz Gunther mit Brünhild schlafen soll - er wird mit einem glatzigen Türken besetzt. Hochkocht zwischen Siegfried (Ismail Deniz) und Hagen das Muskelkörperduell um Vergewaltigung und Liebe, Männlichkeit und Moral, Deutschland und Muslime. Deniz mit Bauchtanz-Vorteil, also: Unterleibs-Schnellkraft. Das Türkenklischee königlich übernommen wie närrisch unterlaufen. Und im Hagen-Darsteller, den Sascha Göpel gibt, ist ein Schweizer mit Flüchtlingsängsten ahnbar - Ostermaier legt neue Lunten an einen alten Explosivstoff.
Der Produzent gesteht seinen Krebs, der Film als letzte Bitte, in die Unsterblichkeit aufgenommen zu werden - Uwe Ochsenknecht in überzeugender Balance zwischen Pathosroutine und bebender Angst. Dominic Raacke offeriert einen Journalisten, der lüstern, ludrig zwischen Reporter des Satans und Baby Schimmerlos changiert. Der Fremde am Set, der aber das Drehbuch schrieb. Die graue Eminenz, die am Grau leidet, weil sie sich als wahres Gold wähnt. Der intrigant Dreckige, der ins Zentrum des Glanzes will. Kommt gleichsam aus dem Western und landete in Worms - in so Geschlagenen keimen die bösesten Schläger. Das Hagen-Syndrom.
Die Königinnen: doppelt besetzt. Die ältere Brünhild (Michaela Steiger): Trinkerin mit Textproblemen, die sich in aggressive Verzweiflung steigern, wenn der Regisseur foltergeil mittelhochdeutsche Verspassagen abverlangt. Dennenesch Zoudé als die Jüngere: Souveränität ganz aus äthiopischem Zartheitszauber - aber keine Schönheit rettet vor Verrat und Vernutzung. Katja Weitzenböcks Kriemhild zwischen zäher Kraft und Zähren: die Frau, die Löwin sein will und dafür Schlange sein muss, immer in Angst, man könne in ihr den früheren Pornostar erkennen. Constanze Wächters Kriemhild kämpft ungelenk, fast komisch mit dem Marketing, das ihr aufgetragen ist: wild und jung zu sein - der Mensch: im fortwährenden Kampf mit der Rolle, die er spielen soll.
Die Regie konturiert und verzahnt die Typologien auf geschmeidige Weise. Der Freiluftauftrag heißt Lärm, Ostermaiers Stück aber ist immer auch die Höhle unter dem Lärm. Wo das Wort leise werden will, wo sich verwischt, was klar vor Augen steht. Das Spagat von Geist und Gaukel als Kopfleistung, nicht als Kopfgeburt. Jedem Crew-Mitglied gehört ein Monolog; ein Tiefenstich ins Herzeleid. Da steht dann jeder, jede - von der Assistentin bis zur Maskenbildnerin, vom Reporter bis zum Bürgermeister (Heiner Lauterbach per Skype zugeschaltet) - sehr versonnen auf der großen Bühne; Einsamkeit ätzt die Oberflächen, und das jeweilige Gesicht bekommt auf der Leinwand seinen ganz eigenen, bizarr oder behutsam verfremdenden Porträtfilm; Gesichter zwischen Goldfarbe und Seelenfinsternis. Der Drehbuchautor Weide etwa leidet am Unglück, lediglich über schöne Menschen schreiben zu müssen - Josef Ostendorf, der Wampenvirtuose, wirft sich in den Bühnenteich, er tropft, als tropfe da sein Fett, gegen das er bellt wie gegen seine Schweißausbrüche, »ich schwitze die Pfütze für mein Spiegelbild«.
Der Showdown bringt einen Bombenalarm, ein Wasserfluten, die Crew flüchtet ins Publikum; Reporter Schleumer, der wahre Hagen, mordet sich amokschleichend durch die Garderoben-Kabinen, Blut knallt gegen Plastikwände. Aber auch dies: nur ein Spiel. Im Chaos die nächste aufputschende Musiknummer, und hoch geht’s zur existenziellen Dauerübung, die jedes Erschüttertsein in die neue Polonaise zwingt. Kennen wir doch. Die politische Niederlage wird weggelogen, die Flüchtlingsleichen werden weggezappt. Welt und Zeit, offenbart in rasanter Schnitt-Technik: Ein Bild sinkt ins Innige, ein Ton zittert ins Traurige, da trompetet und tanzt es schon wieder (in uns), als sei nichts geschehen.
Jetzt trägt Ochsenknechts Produzent eine Königskrone - auf einem Kopf, der das Sterben ruhmessüchtig verdrängt. Jede Überdrehtheit ist Unterwerfung; Selbstbewusstsein ist Selbstzurichtung. Ich denke an Scorseses Film »Wie ein wilder Stier«, da schaut uns Robert DeNiros Boxer LaMotta an, er sagt »That’s entertainment«, und die Kamera zeigt sein aufgedunsenes Gesicht und die mehrfach gebrochene Nase. Ja, that’s entertainment. So ist das hier auch. Der Drehort, der die Leute frisst, als Ort, um den sich das Leben dreht - bis es eingesponnen ist den Kokon aus Härtedraht. In einem Gedicht Ostermaiers heißt es: »was so glücklich macht ist etwas/ instabiles im herzen«. Aber wer hält das aus?
In einem Pausenfilm ziehen Zombies durch Worms. Totentänzer zwischen Punk und Pöbel. Helden? Horden, die ihre Abgesprengten in unsere Städte schicken, uns anschauen, aggressiv und hilflos zugleich. Die Feindesliebe Gottes? Kein Thema für arme Teufel. Wie gesagt, nur ein Pausenfilm. Mich hat er verfolgt. Es ist der Film außerhalb aller Feste und Spiele. Der Aufstand der Kiffer, der kein politisches Bewusstsein braucht, um loszuschlagen. Du ahnst einen katastrophischen Sieg der Natur: Die verhängnisvollen Lindenblätter auf dem Rücken der Welt vermehren sich wie wild.
Vorstellungen bis 31. Juli
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