Bräuche, Umgangsformen und Erwartungen
Muslimische Initiativen sind auf vielfältige Weise in der Flüchtlingsarbeit engagiert
Die junge Frau, die unter Tränen erzählt, dass sie nicht studieren kann, weil sie kein eigenes Einkommen hat. Der Mann, der fragt, ob seine Gebete erhört werden, obwohl er homosexuell ist. Der Imam, der herzlich aufgenommen wurde und nun selbst als Imam arbeitet. Sie alle sind im vergangenen Jahr nach Berlin geflüchtet, die meisten aus Syrien. Und sie alle wurden aufgenommen von muslimischen Initiativen: Moscheen, die Essen, Kleidung und einen Schlafplatz anbieten, Vereine, die den Geflüchteten Mentoren an die Seite stellten oder ihnen bei der Berufsintegration helfen.
»Das Engagement ist beeindruckend vielfältig, die kulturelle Nähe erleichtert oft die Verständigung«, sagte der Integrationsbeauftragte Andres Germershausen am Montag anlässlich der Vorstellung von fünf muslimischen Initiativen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren. »Berlin kann sich glücklich schätzen über diese Initiativen.«
Hilfsorganisationen wie »Moabit hilft«, »Kreuzberg hilft« oder der Berliner Flüchtlingsrat sind in Medien und Öffentlichkeit hinlänglich für ihr Engagement für Geflüchtete vorgestellt worden. Muslimische Initiativen in der Flüchtlingshilfe hingegen sind kaum bekannt. Dabei wenden sich Hunderte von Schutzsuchenden an sie. Moscheen gelten als vertraute Orte, Imame sind nicht nur religiöse Ansprechpartner, sondern auch bei psychischen Problemen oder bei der Suche nach sozialer Anbindung.
»Uns geht es darum, in Frieden zusammen hier in Deutschland zu leben«, sagte am Montag Gülhanım Karaduman-Çerkeş, stellvertretende Vorsitzende und Flüchtlingskoordinatorin des Berliner Landesverbands der türkisch-islamischen Organisation Ditib. Im Rahmen des vom Bundesfamilienministerium geförderten Programms »Menschen stärken Menschen« organisiert sie Patenschaften für Flüchtlinge, um sie mit dem Alltag in Berlin, mit Bräuchen, Umgangsformen und Erwartungen der »Mehrheitsgesellschaft«, wie sie sagt, vertraut zu machen.
Genau wie Karaduman-Çerkeş versteht sich auch Natalia Amina Loinaz als »Brückenbauerin« zwischen Berlinern und Flüchtlingen. Sie leitet das Projekt »Wegweiser: Mentor_innen für Flüchtlinge«, an dem sich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime beteiligen. Ihr geht es zum einen darum, junge Neuankömmlinge aufzufangen, wenn sie sich alleine fühlen, zum anderen darum, ein positives Bild von Berlin zu vermitteln. »Es mag banal erscheinen, wenn wir mit den jungen Menschen in den Park gehen und Sport machen. Aber es geht darum, sie aus den Notunterkünften herauszuholen, wo sie sich langweilen oder Depressionen bekommen.« Jetzt will Loinaz mit den Vereinsmitgliedern deren Biografien aufschreiben, die dann auch veröffentlicht werden sollen. »Man erlebt Geflüchtete meist als Masse, nicht als Einzelpersonen.« Das will sie ändern.
Die meisten Initiativen begannen ihre Arbeit als Erstversorger, nachdem die Zahl der Flüchtlinge vor einem Jahr in die Höhe geschnellt war. Die Moabiter Gemeinde »Haus der Weisheit« hatte im Sommer 2015 bis zu 200 Flüchtlingen Unterschlupf geboten, die sonst auf der Straße geschlafen hätten. Von 500 Quadratmetern Fläche konnten zeitweise nur 40 regulär genutzt werden. »Menschen sind uns wichtiger als das Gebet - beten kann man schließlich auch zu Hause«, sagte Imam Abdallah Hajjir am Montag. Ab Oktober nahm die Moschee denn den Betrieb einer Notunterkunft auf. »Wir hätten uns geschämt, hätten wir nichts getan.«
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