Angekündigter Tod des Rechtsstaats
Im historischen Prozess um das Massaker in Curuguaty entscheidet ein paraguayisches Gericht im Zweifel gegen die Kleinbauern
»Die Justiz hat heute für Großgrundbesitzer, die Mafia und für Putschisten ihr Urteil gefällt!« Als Hugo Richer, Senator für das linke Parteienbündnis Frente Guasú, das Gerichtsurteil zum Massaker von Curuguaty auf Twitter bewertete, sprach er vielen Menschen in Paraguay aus der Seele. Das Urteil, dass ein Gericht in Asunción am 11. Juli rechtskräftig fällte, bestätigte die schlimmsten Befürchtungen.
Das Gericht sprach die elf angeklagten Kleinbauern in allen Punkten für schuldig. Das gefällte Strafmaß war fast identisch mit den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Die elf Angeklagten wurden für die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Besetzung fremden Eigentums und Mord an Polizeibeamten verurteilt. Sie bekamen Haftstrafen zwischen fünf und 25 Jahren auferlegt, der als Anführer angeklagte Ruben Villalba wurde sogar zu 35 Jahren und zusätzlich fünf Jahren Sicherheitsverwahrung verurteilt.
Das Gericht wirft den elf Männern vor, am 15. Juni 2012 bei der Besetzung der Farm Marina Kue sechs Polizisten mit Schusswaffen angegriffen und ermordet zu haben. Der Vorfall wurde von der damaligen Opposition im Nationalkongress genutzt, um den linken Präsidenten Fernando Lugo in einem international hochumstrittenen Verfahren des Amtes zu entheben. Viele sprachen damals von einem »weichen Putsch«. Die Protestbewegung gegen das Verfahren fragte: »Was geschah in Curuguaty?«
Das Urteil vom 11. Juli hat diese Frage nicht beantwortet. Denn es ist alles andere als klar, wer die tödlichen Schüsse tatsächlich abgefeuert hatte. Wer die elf Landlosen, die bei dem Massaker ums Leben kamen, umgebracht hat, untersuchte die Staatsanwaltschaft erst gar nicht: Für sie war von vorne herein klar, dass die Landbesetzer die Gewalt hervorgerufen haben und die Polizisten nur in Notwehr handelten.
So unterschiedliche Organisationen wie Amnesty International, Oxfam, die paraguayische Bischofskonferenz und zahlreiche kleinere linke Gruppierungen kritisierten das Urteil unisono scharf. Unter dem Slogan absolucionya fordern sie auf Demonstrationen und in sozialen Medien die Aufhebung des Urteils, da für sie klar ist, dass hier Unschuldige verurteilt wurden.
»Leider konnten wir nur diese elf vor Gericht bringen«, erklärte dagegen der Vizeminister für öffentliche Sicherheit, Jalil Rachid. Den Platz im Ministerium hat er erst im Januar eingenommen, davor war er der zuständige Staatsanwalt für das Gerichtsverfahren zum Fall Curuguaty. Der relativ junge und unerfahrene Rachid ist sicher die umstrittenste Figur im gesamten Gerichtsverfahren zu Curuguaty. Es lag in seinem Verantwortungsbereich, dass zahlreiche Beweismittel, wie Röntgenaufnahmen aus den Autopsien, Filmaufnahmen aus dem Polizeihubschrauber und Patronenhülsen schlicht verschwunden sind. Die Staatsanwaltschaft konnte nicht einmal beweisen, dass aus den rostigen Flinten der Landlosen überhaupt geschossen wurde, geschweige denn, dass mit ihnen die Polizisten ermordet wurden. Deren Schussverletzungen deuten eher auf großkalibrige Waffen und geübte Schützen hin.
Die Historikerin und Prozessbeobachterin Margarita Durán erklärte auf Facebook, dass der Fall zeige, wie Justiz und Regierung von einer Mafia der Großgrundbesitzer dominiert werden. Jalil Rachids Vater war ein wichtiger Politiker der rechten Coloradopartei und enger Freund von Blas Riquelme, der die Farm Marina Kue 2012 besaß - ohne legale Besitztitel vorweisen zu können. Für Margarita Durán zeigt der Fall deutlich, dass jeder Versuch, gegen die ungerechte Landverteilung in Paraguay zu protestieren, von dieser Mafia kriminalisiert und mit Repression gestoppt werden soll. Auch sie selbst wurde angegriffen: Da sie zu fast jeder Gerichtssitzung ging, wurde ihr vorgeworfen, sich unerlaubt vom Arbeitsplatz entfernt zu haben. Margarita Durán ist beim Obersten Gericht angestellt, um über die Verbrechen der Militärdiktatur zu forschen und arbeitet deshalb relativ frei. Doch Margarita Durán lässt sich nicht einschüchtern. Auf Facebook erklärte sie: »Wenn mich der Oberste Gerichtshof entlässt, weil ich mich für die Menschenrechte eingesetzt habe, nehme ich das als eine außerordentliche Auszeichnung für mich an.«
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