Havanna im Wechselbad
Kubanische Regierung legt Wirtschaft, Kultur und Bildung in neue Ministerhände
Wirtschaftsminister Marino Murillo galt als eines der Gesichter der kubanischen Wirtschafts- und Sozialreformen, von der Regierung in Havanna als »Aktualisierung des sozialistischen Modells« bezeichnet. Nun gab es in den kubanischen Ministerien für Kultur, Höhere Bildung sowie Wirtschaft einen Austausch an der Spitze. Vor allem Murillos Absetzung rief Aufmerksamkeit hervor.
In einigen ausländischen Medien wurde die Personalrochade an der Spitze des Wirtschaftsministeriums denn auch gleich in Verbindung zu Kubas ökonomischen Problemen gesetzt. Erst vor wenigen Tagen hatte Präsident Raúl Castro in einer Rede vor dem Parlament die Bevölkerung auf wirtschaftlich schwierige Zeiten und Einschränkungen bei der Strom- und Benzinversorgung eingestellt.
Diese Probleme soll nun als neuer Wirtschaftsminister der bisherige Vizepräsident des Ministerrates Ricardo Cabrisas meistern. Der 79-Jährige hatte in den vergangenen Jahren erfolgreich die Umstrukturierung und den teilweisen Erlass der kubanischen Auslandsschulden mit internationalen Gläubigern verhandelt, was dem Land die Rückkehr auf die internationalen Finanzmärkte ermöglicht.
Die Regierungsumbildung, anderthalb Jahre nach Beginn des Annäherungsprozesses mit den USA und gut anderthalb Jahre vor dem Ende von Präsident Raúl Castros Amtszeit, betrifft auch das Kultusministerium. Der seit 2014 amtierende Amtsträger Julián González wurde durch den bisherigen Präsidentenberater Abel Prieto ersetzt, der das Ministerium bereits 1997 bis 2012 führte.
Der frühere Präsident des Schriftstellerbundes UNEAC gilt als »provisorische«, wenngleich ausgezeichnete Lösung. Als Mittler zwischen Künstlerszene und Staat ist der 65-jährige Intellektuelle von beiden Seiten anerkannt. Auch im Ministerium für Höhere Bildung gab es eine Neubesetzung: José Saborido übernimmt für Rodolfo Alarcón.
Die zeitgleich verkündete Umstellung im Wirtschaftsministerium - Cabrisas für Murillo - ist allerdings die Personalentscheidung mit größter Reichweite, betrifft sie doch direkt den kubanischen Reformprozess. Murillo gilt, zusammen mit Vizepräsident und designiertem Nachfolger Castros, Miguel Díaz-Canel, als einer der zentralen Strategen des 2010 begonnenen Umbaus der Ökonomie. Seitdem wird mehr Privatwirtschaft zugelassen; mit der Sonderwirtschaftszone in Mariel vor den Toren Havannas und dem Auslandsinvestitionsgesetz wurden zudem Anreize für ausländisches Kapital geschaffen, auf der Karibikinsel zu investieren.
Murillo war bereits 2009 bis 2011 Wirtschaftsminister sowie erneut ab 2014. Seit 2011 steht er zudem der für die Umsetzung der »lineamentos« genannten Wirtschafts- und Sozialreformen zuständigen Kommission vor. Diese Funktion wird der 54-Jährige weiter ausführen; auch bleibt er Vizepräsident des Ministerrates. Von einer Degradierung kann also keine Rede sein.
Fünf Jahre nach Beschlussfassung ist von den 313 Leitlinien, die im Vorfeld von Millionen Kubanern diskutiert worden waren, jedoch gerade einmal etwas mehr als ein Fünftel umgesetzt worden, wie anlässlich des im April tagenden VII. Parteitags der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) bekannt wurde. Bei der Umsetzung ist also mehr Dynamik gefragt. Der Wechsel erfolge »aufgrund der Notwendigkeit, die Anstrengungen auf die mit der Aktualisierung des kubanischen Wirtschafts- und Sozialmodells verbundenen Aufgaben zu konzentrieren«, hieß es denn auch in einem offiziellen Regierungskommuniqué.
Der ausgewiesene Wirtschaftsexperte Cabrisas wiederum soll die kubanische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Das Bruttoinlandsprodukt war im ersten Halbjahr 2016 nur noch um ein Prozent gewachsen. Kuba leidet unter den niedrigen Weltmarktpreisen für Nickel und Zucker und damit gesunkenen Einnahmen; zudem liefert der wichtigste Verbündete Venezuela aufgrund eigener wirtschaftlicher Schwierigkeiten weniger Öl. Kubanische Behörden und Betriebe haben derweil begonnen, die Arbeitszeit zu kürzen und den Gebrauch von Klimaanlagen einzuschränken, um Energie zu sparen. Seit Montag gilt zudem eine staatlich verordnete Deckelung der Tarife für private Taxis. Durch die Rationierung von Benzin für Staatsbetriebe haben Taxifahrer nur noch begrenzt Zugang zu Benzin auf dem Schwarzmarkt und daraufhin die Fahrpreise erhöht. Auch Stromabschaltungen in größerem Umfang werden befürchtet. Viel zu tun also für die neuen Minister.
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