Ein Netzwerker des Nachrichtenhandels

Vor 200 Jahren wurde in Kassel der Gründer der Agentur Reuters, Paul Julius Reuter, geboren

  • Eckart Roloff
  • Lesedauer: 4 Min.

Es heißt von ihm, sein Name sei der in der Weltgeschichte meistgedruckte. Dabei nannte sich der Mann mit diesem Superlativ Israel Beer Josaphat. Doch mit diesem Namen kam er nur zur Welt. Später wurde der gebürtige Jude Protestant und nannte sich Paul Julius Reuter. Reuter, der mit der Nachrichtenagentur, der sehr frühen und erfolgreichen. Da mag das mit dem Rekordnamen stimmen, der Millionen von Meldungen in aller Welt vorangestellt ist.

Geboren wird dieser Pionier des Nachrichtenhandels vor 200 Jahren, am 21. Juli 1816, in Kassel. Dorthin war sein Vater, ein Rabbiner, gezogen. In Kassel macht der Sohn eine kaufmännische Lehre. Vier Jahre später zieht er nach Göttingen. Dort kommt es zu wegweisenden Begegnungen mit Karl Friedrich Gauß, dem Mathematiker, der sich mit dem Physiker Wilhelm Weber der Telegrafie zugewandt hatte. Deren Experimente beeindrucken, ja begeistern den jungen Mann. Telegrafie durch Elektrizität und Drähte, gar mit elektromagnetischen Nadeltelegrafen, das ist damals Hightech. Sie erlaubt das rasche Übermitteln von Botschaften - und gab im doppelten Sinn Impulse für ein ganzes Leben.

Auf Göttingen folgt Berlin. 1844 konvertiert Israel Beer Josaphat und heiratet eine wohlhabende Bankierstochter. Ein Freund schildert ihn als »kurz angebunden, lebhaft, energiegeladen und stets konzentriert«. Reuter wird Kompagnon des Verlages Reuter und Stargardt. Demokratische Schriften zählen zum Programm. Das ist den unruhigen Zeiten um 1848 nicht ohne Risiko; es kann Verfolgung bedeuten. Da zieht Reuter lieber nach Paris.

Dort trifft er den Kaufmann Charles Havas, für den er übersetzt. Havas leitet eines der ersten Nachrichtenbüros. So hat Reuter mit Wirtschafts- und Börsennotizen zu tun, die an die Presse gehen. Da liegt es nahe, das gefragte Material in eigener Regie deutschen Redaktionen zu übermitteln. Seine Frau hilft ihm sehr. Doch viel Erfolg haben sie nicht. Es geht zurück nach Deutschland, nach Aachen.

Das ist eine Endstation der Telegrafenlinie Berlin-Aachen, seit 1849 in Betrieb. Von dort schicken sie ihre Neuigkeiten an Kaufleute. Per Zug bald auch nach Köln, Brüssel und Antwerpen, ebenfalls wichtige Handelsplätze. Da es nun auch die Telegrafenlinie Brüssel-Paris gibt, setzt Reuter alles daran, zwischen Aachen und Brüssel schneller als die Bahn zu sein, die für die 160 Kilometer neun Stunden braucht. Durch den Einsatz von Brieftauben schafft er das in knapp zwei Stunden.

Die sind seit der Antike in besonderer Mission unterwegs. Sie können sehr weit fliegen und sich bestens orientieren. Dabei bringen sie Botschaften von A nach B und zurück. A hieß für Reuter Aachen, B Brüssel. Die Tauben legen die Strecke im wahrsten Sinn flugs zurück. Sie haben dafür gleichsam ein Monopol - noch.

1850 baut Reuter mit einem Aachener Taubenzüchter einen regelmäßigen Kurierdienst auf. Die Vögel bekommen auf Seidenpapier notierte Börsenkurse mit, die per Telegraf nach Berlin gehen. Doch bald gibt es mehr und mehr Telegrafenlinien. Sie machen die Tauben entbehrlich, schlecht für Reuter. 1851 wandert er nach London aus. Dem Nachrichtenhandel bleibt er treu.

Dann die nächste Innovation: Seekabel, auch durch den Ärmelkanal. Mit gewaltigen Investitionen, Chancen und Risiken. Wichtig für alle Agenturen, auch für Reuters Konkurrenten Havas und Wolff. Der Zeitungsmarkt gewinnt an Bedeutung, die Leserzahlen steigen. Was gerade geschah, wird fix verbreitet. Reuter mischt kräftig mit und expandiert, schließt Verträge mit großen Verlagen. Viele Auszeichnungen folgten. Reuter wird weltweit ein Begriff, der Name als Nachrichtenquelle immer wieder gedruckt.

In der Aachener Pontstraße, in der Reuter seine Agentur aufgebaut hatte und eine Tafel an ihn erinnert, befindet sich seit langem das Internationale Zeitungsmuseum. Als es 1962 dort neue Räume bezog, gab es eine Gedenkfeier für Reuter, einen der Wegbereiter des Geschäfts mit der Nachricht. Nach der Fusion mit der kanadischen Thomson-Gruppe 2008 lebt der Name im Konzern Thomson Reuters weiter. 1899 ist der Mann aus Kassel, ein früher Netzwerker des Nachrichtengeschäfts, in Nizza gestorben.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -