»Unsere Patienten erzählen uns schreckliche Geschichten«
Hilfskoordinator Ruben Pottier von Ärzte ohne Grenzen schildert Augenzeugenberichte aus der Hauptstadt Juba
»Nach fünf Tagen heftiger Kämpfe ist es jetzt der zweite ruhige Tag - man kann keine Schüsse hören. Der Waffenstillstand wird in dem Sinne respektiert, dass die militarisierten Gruppen sich nicht bekämpfen. Aber es wird immer noch viel geschossen und geplündert. Laut unseren Patienten und unseren sudanesischen Mitarbeitern gibt es einen Teil der Stadt, der noch immer sehr unsicher ist.
Die Menschen mussten aus ihren Häusern fliehen und haben Angst zurückzugehen. Ihre Häuser wurden geplündert, und sie haben alles verloren. Einige Geflüchtete, die beschlossen hatten zurückzugehen, haben gesehen, dass alles gestohlen wurde. Also sind sie zurück zur Sankt Theresa-Kirche gekommen, im Süden von Juba, wo wir mobile Sprechstunden anbieten. Die Menschen brauchen vor allem Nahrung, Unterkünfte, Wasser, sanitäre Anlagen und erste medizinische Versorgung.
Gestern haben wir rund 150 Menschen behandelt, heute waren es 377. Wir haben auch Kinder auf Mangelernährung untersucht und denen therapeutische Nahrung zur Verfügung gestellt, die stark oder akut mangelernährt sind.
Unsere Patienten erzählen uns schreckliche Geschichten: Wie bewaffnete Männer in ihr Haus gekommen sind und die Leute darin umgebracht haben. Viele Menschen haben auf der Flucht vor der Gewalt ihre Familien verloren. Heute haben ich einen achtjährigen Jungen getroffen, dessen Vater und Mutter erschossen wurden und der jetzt niemanden mehr hat. Ich habe ein zwölf Jahre altes Mädchen gesehen - die dreijährige Schwester auf dem Arm -, das zur Behandlung kam und sagte, dass sie ihre Eltern verloren haben. Meine Kollegen in der mobilen Klinik haben mindestens drei weitere elternlose Kinder gesehen, die erzählten, dass Mutter und Vater erschossen wurden. Viele Menschen wurden zwischen den Frontlinien gefangen und haben Schussverletzungen. Viele andere wurden auf der chaotischen Flucht verwundet. Einige versuchten, über Mauern mit Stacheldraht zu klettern und zerschnitten sich die Hände. Andere haben Verletzungen am Kopf, an Armen und Beinen.
Zwei Patienten erzählten uns, dass bewaffnete Männer ohne Uniformen in ihre Häuser gekommen seien und ihre Kinder und Kleider mitgenommen hätten. Sie berichteten, dass sie unbekleidet aus ihren Wohnungen fliehen mussten. Nachbarn versorgten sie anschließend mit Kleidung.
Die Erzählungen der Menschen sind sehr schrecklich. Auch jetzt noch, nachdem die Kämpfe offiziell aufgehört haben, hören wir von solchen Vorfällen. Es ist traumatisierend, diese Geschichten zu hören, vor allem wenn man selbst die Schießereien und Bombardierungen gehört hat und die rennenden Menschen auf den Straßen. Für uns ist das belastend. Für diejenigen, die hier wirklich leben, wie auch unsere südsudanesischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, ist es selbstverständlich noch viel belastender.«
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